Vollkommene brüderliche Harmonie

Vollkommene brüderliche Harmonie

Startseite // Vollkommene brüderliche Harmonie

Meisterliche Klavierkunst

Jun-Ho Gabriel Yeo, Lisa Smirnova und Kevin Kenner beenden die Brahmswochen 2017 mit einer umjubelten Sommer-Klaviernacht voll schillernder Klangfarben, Emotionen und Melancholie.

„Wozu muss man da noch in die Elbphilharmonie nach Hamburg, wenn man ein solches Konzert in Heide erleben kann?“ so Klaus Ebersbach am Ende der umjubelten Sommer-Klaviernacht der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein, die am Samstag im lichtdurchfluteten Transportcenter von Nord-Ostsee-Automobile die Brahmswochen 2017 beschloss.
Kevin Kenner, Lisa Smirnova und Jun-Ho Gabriel YeoAuch die anderen rund 250 Besucher waren beeindruckt von der virtuosen Leidenschaft der Künstler. Mit Jun-Ho Gabriel Yeo, Lisa Smirnova und Kevin Kenner hatten die Veranstalter drei Pianisten unterschiedlicher Altersgruppen, kultureller Wurzeln und Klavierschulen eingeladen, die die verschiedenen Facetten der Klavier-Kammermusik in schillernden Klangfarben meisterlich entfalteten. Farbenreich nuanciert, mit einer weiten auch dynamischen Bandbreite, mit Akkuratesse und Feingefühl interpretierte Jun-Ho Gabriel Yeo sein Programm mit einer erstaunlichen Reife. In Beethovens berühmte „Waldstein-Sonate“ beeindruckte der gerade mal 19 Jahre alte Koreaner mit technisch endlosen Trillerketten in beiden Händen und glissandoschnellem Laufwerk. Auch der „Ballade d-moll op. 10“ und den drei Fantasien aus Brahms‘ Klavierzyklus op. 116 entlockte der junge Virtuose trotz noch fehlender Lebenserfahrung mit einer bemerkenswert ausgereiften Interpretation leise Melancholie und vermittelte das Gefühl, an diesem Abend einem Ausnahmetalent zuhören zu dürfen. Auch Telse Volkers aus Krempel zeigte sich in der folgenden Pause besonders angetan von der jugendlichen Frische des Interpreten. „Bei solch‘ einem Talent muss man keine Angst um die Zukunft der klassischen Musik haben.“
Ausgesuchte Klanglichkeit traf anschließend auch bei Lisa Smirnova auf tiefe Empfindung und großen Ausdruck. Die gebürtige Russin mit Wohnsitz in Wien lebt ihre Kunst – für jeden Zuhörer auch sichtbar. Sie wird eins mit ihrer Musik. Kongenial vereint sie die östliche und westliche Klavierschule und hat sich zudem Friedrich Guldas Leitspruch zu eigen gemacht: „Spiele jeden Ton so, als ob es um dein Leben ginge“. Beste Voraussetzungen für die Interpretation von Haydn, Brahms, Schubert und Liszt. Mit einer wunderbaren Mischung aus Melancholie und mitreißend tänzerischen Melodien setzte die Brahmspreis-Trägerin von 1993 die ebenso zauberhaften wie halsbrecherisch virtuosen Klangbilder in Liszts „Ungarischer Rhapsodie Nr. 12.“ Spürbar hielt das Publikum zum furiosen Ende des Stückes die Luft an und bedankte sich mit stürmischem Applaus.
Von London auf dem Weg nach Korea machte Kevin Kenner einen Abstecher zur Heider Klaviernacht und überraschte das Publikum mit einem hier noch nie erklungenen Albumblatt von Johannes Brahms, das – 1853 komponiert – 2011 in einer amerikanische Bibliothek wiederentdeckt wurde und wohl das melodische Material für sein späteres Horntrio enthält. Nahtlos ging er zum Höhepunkt der Klaviernacht über, der höchst farbenreichen Palette an Werken Frédéric Chopins, für dessen Interpretation der Kalifornier weltweit gefeiert und ausgezeichnet wird. Welches Spektrum an Klangfarben Kenner dem Steinway-Flügel zu entlocken verstand, ist verblüffend.Von zart und elegant bis hin zu sehr stürmisch und kraftvoll präsentierte Kenner höchst facettenreich die kammermusikalischen Perlen des polnisch-französischen Komponisten. Mit allem Einfühlungsvermögen setzte er die verträumten Abschnitte des Werks um, ließ Stimmungen auftreten und unauffällig wieder verschwinden, elegant in andere übergehen. „Ich habe eine Gänsehaut“, raunte eine Zuhörerin ihrer Nachbarin zu. So meisterlich gespielt, so transparent – ohne jedoch die Werke zu sezieren, sondern sie in sensibelster Weise zu interpretieren – hört man Chopin live nicht alle Tage, waren sich die Fachleute im Publikum einig. Nur ein Austernfischer fühlte sich in seiner Nachtruhe gestört und verhinderte durch lautstarkes und schrilles Trillern eine Zugabe.
Trotzdem ein „rundum gelungener Abend“ so Ehepaar Hans-Jürgen und Anke Bloch, der mit zwei langen Pausen auch den Gesprächen und dem Genuss von kulinarischen Gaumenfreuden aus dem Hause „Erheiterung Böhe“ genügend Raum gab. (Text/Fotos: Guballa)

„Beseelt von einer überbordenden Liebe zur Musik“
Herbert Blomstedt mit dem Brahmspreis 2017 ausgezeichnet

Wenn die Brahms-Gesellschaft zur bundesweit beachteten Brahmspreis-Verleihung lädt, richtet sich die Aufmerksamkeit der Klassik-Welt für einen Tag auf den Westküstenkreis Dithmarschen. Hier wird seit 1988 die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung an Persönlichkeiten verliehen, die sich um das Werk und künstlerisches Erbe Johannes Brahms’ besonders verdient gemacht haben. Die Reihe der Preisträger liest sich wie das ‚Who is Who‘ der Klassikszene: Leonard Bernstein, Dietrich Fischer-Dieskau, Anne-Sophie Mutter, Thomas Hengelbrock, Christoph Eschenbach. In diesem Jahr fiel die Wahl auf den schwedischen Dirigenten Herbert Blomstedt.

Document made with KompoZer„Mit Herbert Blomstedt erhält ein Künstler den diesjährigen Brahmspreis, der seit mehr als sechs Jahrzehnten mit herausragenden dirigentischen Leistungen das Konzertpublikum bereichert und beeindruckt“, so der Vorsitzende der Brahms-Gesellschaft Joachim Nerger. Mit der Auszeichnung verneige man sich vor einem Dirigenten, der auch in seinem neunten, bald zehnten Lebensjahrzehnt in unfassbarer Frische und mentaler Präsenz die großen Brocken der klassischen Literatur, darunter auch das sinfonische Repertoire von Johannes Brahms, auf Maßstäbe setzende Weise dirigiert. Blomstedt, der im Juli 90 Jahr alt wird, gelte weltweit als „Grandseigneur des Taktstocks“.

Herbert Blomstedt wurde 1927 im amerikanischen Springfield als Kind schwedischer Eltern geboren. Sowohl seine künstlerische Begabung wie seine Religiosität waren ihm in die Wiege gelegt. Sein Vater war Prediger und Missionar, die Mutter eine ausgebildete Pianistin, die ihren Beruf wegen einer rheumatischen Erkrankung jedoch nicht ausüben konnte. Als er zwei Jahre als war, ging die Familie nach Schweden zurück. „Aus der strengen adventistischen Erziehung seines Vaters nahm er die hoch kontrollierte Lebensweise mit, ein ungewöhnlich starkes Gefühl der Selbstverantwortlichkeit und die Ehrfurcht vor heiligen Texten – sei es die Bibel oder die Partitur eines Meisterwerks“, so die Musikwissenschaflterin Julia Spinola in ihrer sehr persönlichen Laudatio, die sich auf zahlreiche Begegnungen mit dem Maestro im Rahmen der Recherche zum gerade erschienenen Gesprächbuchs „Mission Musik“ stützten. Ersten Musikunterricht erhielt Blomstedt von der Mutter. Frühe musikalische Erfahrungen bekam er auch durch die zahlreichen Spielleute in seiner Verwandtschaft. Blomstedt studierte Musik am Königlichen Konservatorium in Stockholm und der Universität Uppsala. Weiteren Schliff als Dirigent holte sich Blomstedt in Kursen bei Jean Morel an der Juilliard School, bei Leonard Bernstein in Tanglewood sowie Igor Markevitch in Salzburg. Vor allem aber seien es die Orchester, die Blomstedt geprägt haben und die er bis heute als seine „Familien“ betrachtet, so die Laudatorin. „Sehr beeindruckt hat mich, dass er beinahe von jedem einzelnen Musiker bis heute eine charakteristische Geschichte erzählen kann.“ Nach Chefpositionen bei skandinavischen Orchestern ging es nach Dresden, nach San Francisco, zum NDR-Sinfonieorchester und schließlich als 18. Gewandhauskapellmeister (und Nachfolger Kurt Masurs) nach Leipzig. „Wenn Herbert Blomstedt dirigiert scheint es nichts Überflüssiges in seinen Bewegungen zu geben, kein Schwelgen und Rudern wie man es von manchem Feuerkopf unter den Dirigenten kennt. In der Verquickung von strenger Analytik und Phantastik, von akribischer Partiturgenauigkeit und einer von höherem Glauben getragenen Beseeltheit liegt ein Geheimnis seines Dirigierens. Sie sind beseelt von einer überbordenden Liebe zur Musik.“

Brahms sei für ihn eine Herzenssache, bedankte sich Herbert Blomstedt in einer launigen Rede für die Auszeichnung. „Mit Brahms verbindet mich eine große, langjährige Liebe. Schon als Schüler kannte ich die Sinfonien auswendig, weil ich regelmäßig ins Konzert ging. Und mit Brahms stand ich auch das erste Mal vor einem Orchester bei der Aufnahmeprüfung zur Dirigentenklasse.“ Auch als Mensche stünde Brahms ihm nahe. „Mir gefällt sein spröder, norddeutscher Humor,“ schmunzelte der Schwede verschmitzt. Umrahmt wurde die Preisverleihung von Bläsern und Streichern des NDR Elbphilharmonie-Orchesters, die mit Bach, Bruckner und Brahms wichtige Komponisten der Karriere Blomstedts interpretierten. „Eine würdige und beeindruckende Veranstaltung“ waren sich die Besucher einig, die sich anschließend noch mehrheitlich ein Autogramm vom Preisträger geben ließen. (Text/Fotos: Guballa)

Erst klassisch, dann unkonventionell
Gefeierter Auftakt der Brahms-Wochen 2017 in der Fachhochschule Westküste

Ein klassisch-seriöser Auftakt und ein unkonventionell, lockerer Ausklang: Mit einem grandiosen Doppelkonzert und einem ungewöhnlichen kulinarischen Intermezzo wurden am Mittwoch die Brahms-Wochen 2017 im Foyer der Fachhochschule Heide eröffnet. Das in London ansässige Elias String Quartet begeisterte zusammen mit dem deutschen Klarinettisten Thorsten Johanns die Zuschauer zunächst mit einem romantischen Kammermusikabend, bevor das Quartett in einem zweiten Konzert mitreißende Fiddle-Musik aus Schottland spielte.

Elias Sting Quartet und Thorsten Johanns. Foto GuballaIm Dezember 1890 teilte Johannes Brahms seinem Verleger mit, dass er sein kompositorisches Schaffen abgeschlossen hätte. Glücklicherweise sollte es anders kommen: Fasziniert von der Musikalität des Klarinettisten Richard Mühlfeld, Solobläser aus dem Meininger Hoforchester, und der unvergleichlichen klanglichen Qualität seines Instruments komponierte der Hamburger Komponist mit Dithmarscher Wurzeln das Klarinettenquintett h-moll op. 115, das bis heute zu den Meisterwerken der Kammermusikliteratur gehört, ein Alterswerk voller Komplexität und Dichte.

Zum Auftakt der diesjährigen Brahms-Wochen interpretierten das Elias String Quartet aus London und der deutsche Klarinettisten Thorsten Johanns Brahms‘ musikalischen Lebensrückblick mit jugendlicher Frische und hinreißender Musikalität. Subtile Übergänge, Themen, die sich aus gegensätzlichen Bausteinen zu spannungsvollen, ästhetisch geschmackvollen Komplexen ausformen – einen Kosmos von Feinheiten birgt dieser Prototyp der Gattung. Und die fünf Musiker hatten es sich zur Aufgabe gemacht, bei ihrem ersten gemeinsamen Auftritt diese Feinheiten ans Tageslicht zu bringen. Selten dürfte Johannes Brahms‘ spätes Klarinettenquintett in so erlesener Abschattierung zu hören sein, ausgeführt von fünf vollendeten Könnern an ihrem Instrument. Insbesondere Johanns Klarinette schwebte mit wunderbarer Leichtigkeit, mit großen, eleganten Melodiebögen über den Streichern. Bei so einer bedingungslosen Hingabe an die Musik muss man sich um die Zukunft der Kammermusik keine Sorgen mehr machen.

Bereits im zuvor erklungenen Streichquartett a-moll op. 13, einem Geniestreich des jungen Felix Mendelssohn Bartholdy, hatte das Elias String Quartet bewiesen, dass es den vier jungen Musikern ein Anliegen ist, klangliche Möglichkeiten bis in feinste Nuancen auszuloten. Hier zeigten sich Sara Bitlloch (Violine), Donald Grand (Violine), Martin Saving (Viola) und Marie Bitlloch (Cello) als perfekt abgestimmtes Ensemble, das sich geradezu spielerisch die musikalischen Bälle hin und her warf und Hochspannungsmusik bot, die die rund 160 Zuhörer tief berührte.

Nach einem ungewohnten, kulinarischen Intermezzo, für das der Food Truck des Restaurants Marktpirat mit Pulled Pork und vegetarischem Fingerfood sorgte, zeigte sich das Elias String Quartet dann im Nachtkonzert von einer vollkommen anderen Seite. Unter dem Titel „Scottish Folk Tunes“ hatte der gebürtige schottische Geiger Donald Grand traditionelle Lieder, gälische Gesänge und selbstkomponierte Hochzeitsmusik aus seiner Heimat mitgebracht, das die vier Musiker mit derselben Hingabe spielten wie zuvor im kammermusikalischen Teil. Auch Thorsten Johanns hatte eigens für diesen Konzertteil irische Volksmusik für die Klarinette herausgesucht. Das Publikum jubelte, die Teufels-Musiker strahlten. „Fantastisch“ schwärmten Birgit Diener, Anke Frauen und Sabine Dethloff, denen es besonders der attraktive Klarinettist angetan hatte. Auch die Veranstalter freuten sich über das gelungene Auftaktkonzert in der Fachhochschule, das ein deutlich jüngeres Publikum in den neuen Spielort gelockt hatte als üblich.

Fremdenführer durch die Musik des Barocks
Das „Cicerone Ensemble“ begeisterte beim Auftaktkonzert der Brahms-Gesellschaft

Eine gute Konzertreihe beruht auf der Lust der Organisatoren, Neues zu entdecken und zu präsentieren. Spannende programmatische Vielfalt mit hoher künstlerischer Qualität sind deswegen ein Markenzeichen der Veranstaltungen der Brahms-Gesellschaft, die am Sonntag ihr Auftaktkonzert der Herbst/Wintersaison feierte. Im barocken Ambiente der gut besuchten St. Jürgen Kirche kamen beim Programm des „Cicerone Ensemble“ vor allem Freunde der Musik des 18. Jahrhunderts auf ihre Kosten.

Cicerone EnsembleZiel des 2014 gegründeten Trios ist es, die Pracht und Daseinsfreude der Barockmusik auf Nachbauten historischer Instrumenten zu neuem Leben zu erwecken ist das. Für die drei Studenten der Folkwang Universität reicht es jedoch nicht aus, Musik lediglich zu spielen, sondern sie wollen sie so präsentieren, wie ein Reiseleiter ein altes Gemälde oder Gebäude erklären würde: mit Informationen zu Werken, Komponisten und Instrumenten. So ist auch der Name des Ensembles entstanden: Cicerone bedeutet Fremdenführer.
Schon in Jean-Baptise Barrières „Sonate d-moll“ gelang es Thomas Wormitt (Traversflöte), Adrian Cygan (Barockcello) und Andreas Gilger (Cembalo) in besonderer Weise, die barocktypischen Kontrastbildungen zwischen Lebensbejahung und Melancholie musikalisch umzusetzen und die Zuhörer daran teilhaben zu lassen. Der französische Komponist Barrière war der wohl virtuoseste Cellist seiner Zeit und hatte auch in Italien studiert und gewirkt. Die Erregung, das emotionell Unberechenbare des italienischen Stils kam in der Interpretation des „Cicerone Ensembles“ deutlich zum Ausdruck. Auch Georg Friedrich Händel war bereits als 21jähriger nach Italien gereist und hatte dort den Komponisten und Violinvirtuosen Arcangelo Corelli kennengelernt. Kein Wunder, dass Händels „Sonate G-Dur“ Spuren des Superstars des musikalischen Barocks trägt; die drei Musiker erweckten das Werk – besonders in den beiden abschließenden Tanzsätzen – mit federnder Eleganz und musikalisch springlebendiger Leichtigkeit zum Leben. Die ganze Bandbreite musikalischer Ideenvielfalt und barocker Gestaltungsmittel kam auch in der anschließenden Telemann-Sonate zum Ausdruck. Dass sie auch in kleinerer Besetzung überzeugen, bewiesen die jungen Instrumentalisten als Duo in Francesco Geminianis „Sonate für Cello und Basso continuo“ sowie in Johann Christian Bachs „Sonate A-Dur für Flöte und Cembalo“ mit Stilsicherheit und Leidenschaft.

Zum Schluss gab es mit Johan Helmich Roman, dem „schwedischen Händel“, und Johann Joachim Quantz, dem Flötenlehrer Friedrich des Großen, Unbekanntes zu entdecken. Schnell wurde auch hier deutlich, wie sehr das „Cicerone Ensemble“ in der Klangwelt des Barocks beheimatet ist und wie souverän die Kommunikation auf der Bühne vonstatten geht: Ein leichtes Nicken, ein kurzer Blick reichten aus, um punktgenaues Innehalten ebenso wie gemeinsamen Spannungsaufbau vor Kadenzen und filigrane Verzierungsmuster umzusetzen. Das Ergebnis ist Musik von vollkommener Klarheit, aber voll der Affekte, welche die Musik der Barockzeit so einzigartig machen. (Text/Foto: Guballa)

Lange Nacht der Tastenkunst
Virtuose Sommer-Klaviernacht beendet Brahms-Wochen 2016

Mit imponierender pianistischer Brillanz und nahezu schwindelerregender Virtuosität wurden am Samstag mit der Sommer-Klaviernacht die Brahms-Wochen 2016 beendet. Gewidmet sind die musikalisch-kulinarischen Sommerfeste in den Räumen der Nord-Ostsee Automobile den kurzen Charakterstücken der Klaviermusik und ihren Interpreten.

Francois-Xavier PoizatKlangbilder und Impressionen ferner Länder eröffnete François-Xavier Poizat in Claude Debussys „Estampes“ – eine Reise im Geiste und in der Fantasie des Komponisten. In „Pagodes“ schwor er Fernöstliches herauf, in „Soiree dans Grenade“ fing er pianistisch wunderbar das Kolorit der andalusischen Melodien ein und in „Jardins sous la pluie“ war das Prasseln des Regens herauszuhören. Der Pianist aus Genf mit chinesischer Abstammung spielte die zarten, geheimnisvollen Klänge, die rhythmische Vielschichtigkeit und betörende Monotonie der Komposition mit kristalliner Klarheit und fein nuanciert. Bei Johannes Brahms‘ schwermütigem Alterswerk, den „Intermezzi op. 117“, muss François-Xavier Poizat hingegen seine Jugendlichkeit und Leidenschaft noch etwas bändigen, um sich zu einem wahren Meister zu entwickeln. Hier hätten die „Paganini-Variationen“ seinem Temperament besser entsprochen. Dass er sich auf dem „richtigen“ Weg befindet, zeigte der 26-Jährige mit dem Scherzo aus Peter Tschaikowskys „Pathétique“, in dem er die gesamte Palette seiner Virtuosität kraftvoll entfalten konnte.

Aurelia Shimkus
In die ruhige Welt der Balladen entführte die 18jährige Aurelia Shimkus das Publikum nach der ersten Pause mit je zwei Charakterstücken von Johannes Brahms und Franz Liszt. Massiv, kraftvoll, leidenschaftlich, dann lyrisch und hochromantisch – die zierliche Lettin spielte hinreißend, zelebrierte jeden verträumten Ton und ließ die Zuhörer mit bemerkenswert ausgeprägter Technik und Musikalität aufhorchen.
Matthias KirschnereitNoch einen Schritt näher heran an die Kunst des intensiven Zuhörens führte der Klangpoet Matthias Kirschnereit, der das kraftvolle Finale des Abends einläutete. Der Mittfünfziger ist keiner, der die große Gebärde benötigt oder gar den Tastenlöwen gibt. Technisch über allen Zweifel erhaben, mit einem feinfühligen, präzise differenzierenden Anschlag, beeindruckte der Echo-Klassik-Preisträger zunächst mit dem „Lied ohne Worte B-Dur op. 67/3“ und den „Variations sérieuses d-Moll op. 54“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Dabei verzichtete auf jene Sentimentalität, die gewöhnlich diesen kleinen Kabinettstückchen angedichtet wird, und stellte seine Virtuosität ganz in den Dienst der Musik. Die dritte Klaviersonate von Johannes Brahms beschäftigt Matthias Kirschnereit schon ein Leben lang. Ein Kosmos, der niemals endet: das sei für ihn die kontrollierte Gefühlswelt dieses Komponisten mit Dithmarscher Wurzeln, der zu seinen musikalischen Hausgöttern zählt. Mit poetischem Feingefühl interpretierte Kirschnereit das Nocturne-hafte „Andante espressivo“, bevor er das Publikum beim „Nocturne cis-Moll op. posth“ von Frédéric Chopin mit „leichterer“ Kost verwöhnte – Musikliebhabern bestens aus dem Film „Der Pianist“ bekannt. Zur Abrundung des Abend beschloß das halsbrecherische „Scherzo Nr.2 b-Moll“ die lange Nacht der virtuosen Tastenkunst, die rund 250 Besucher begeisterte. „Ein Höhepunkt des Dithmarscher Kulturlebens,“ waren sich Petra Stüber, Gaby Pastoors, Ada Viecens und Anke Ninke aus Lunden mit allen Anwesenden einig.

Grandioses Zusammenspiel
Thorsten Johanns und Moritz Eggert begeistern bei der Sonntags-Matinée zum Museumstag

Mit einer grandiosen Konzert-Matinée, einem Vortrag über die Freundschaft zwischen dem Komponisten Johannes Brahms und dem Heimatdichter Klaus Groth sowie der anschließenden Führung durch das vor kurzem wiedereröffnete Groth Museum wurde am Sonntagmorgen der Internationale Museumstag auf Lüttenheid begangen. Mit dieser „konzertiert-konzertanen“ Aktion machten die Veranstalter einmal mehr deutlich, mit welchem Pfund die Stadt Heide durch das Gebäudeensemble vom Groth Museum über die Museumsinsel bis zum Brahms Haus wuchern kann.
Thorsten Johanns (Klarinette) und Moritz Eggert (Klavier). Foto GuballaMit dem Klarinettisten Thorsten Johanns sowie dem Pianisten und Komponisten Moritz Eggert konnten im Rahmen der Brahmswochen zwei weltweit gefragte Musiker gewonnen werden, die in einem virtuosen Programm die ausgefallene Kombination ihrer Instrumente vorstellten und einen Einblick in die Geheimnisse dreier höchst unterschiedlicher Werke gewährten.
Die glänzend aufeinander eingespielten Künstler eröffneten mit dem romantischen „Grand Duo concertant“ von Carl Maria von Weber, der für das damals neue Instrument Klarinette ein Konzertstück komponiert hatte, das in seinem opernhaften Gestus fast einer Ouvertüre ähnelt. Dabei ging es im ersten Satz feurig schnell voran, das Andante sorgte für einen innerlichen, aber doch bewegten Ruhepunkt, bevor das Rondo eine brillante Pointe nach der anderen zündete und sich virtuos in alle spieltechnischen Finessen hineinsteigerte. Johanns meisterliche Tonbildung, Eggerts nuancenreicher Anschlag und beider absolut brilliante Phrasierung entfalteten sich dabei auf höchstem Niveau. Immer dann, wenn es nötig war, verschmolzen beide Instrumente zu einer Stimme und sonderten sich beizeiten wieder voneinander ab. Obwohl Alban Berg bis heute für viele Klassikfreunde schwerste Kost darstellt, sorgten seine fast schon experimentellen „Vier Stücke“ op. 5 für einen Moment atemraubender Spannung. Hochkonzentriert die Interpreten bei diesen fordernden Destillaten musikalischer Reflexion. Das Werk setzt die musikalische Entwicklung zur Neuzeit fort. Noch von der Spätromantik beeinflusst, ist der Einfluss der Neuen Musik eines Arnold Schönberg schon deutlich hörbar. Die Strenge der Musik brachte Eggert großartig zum Ausdruck, während die Klarinette Johanns hinreißend für den sinnlichen Anteil stand. Natürlich durfte zum Schluss ein Gruß an den Genius Loci nicht fehlen. Johannes Brahms’ Klarinettensonate f-moll lotet den der Klarinette innewohnenden schluchzenden Klang und die tiefe Melancholie aus. So gehören die beiden ersten Sätze zu den innigsten und melancholischsten Kompositionen der Romantik. Erst im Allegretto Grazioso kommen plakativ tänzerische Klänge eines Ländlers zum Tragen, bevor das Vivace im übermütigen Rondo das Finale einläutet. Auch hier konnten die Ausnahme-Künstler Johanns/Eggert alle Nuancen der Leidenschaft auskosten, die Brahms in sein Spätwerk hineingelegt hatte. Ein äußerst packender Zugang in die klingende Welt des Komponisten mit Heider Wurzeln, der vom begeisterten Publikum mit langanhaltendem Applaus belohnt wurde und anschließend vom Vorsitzenden der Groth-Gesellschaft Bernd Rachuth durch einen Vortrag über die Freundschaft zwischen Brahms und dem Heimatdichter Klaus Groth vertieft wurde.

„Ein Musiker unter Musikern“
Christoph Eschenbach mit dem Brahmspreis 2016 ausgezeichnet

Normalerweise ist er dafür bekannt, jeden Rummel um seine Person mit fast schon spröder Gelassenheit zu begegnen. Am Donnerstagabend zeigte sich der Pianist und Dirigent Christoph Eschenbach in der St. Bartholomäuskirche tief gerührt und bewegt. In Anwesenheit von rund 450 Gästen sowie Vertretern aus Politik und Kultur nahm der 76jährige den mit 10.000 Euro dotierten Brahms-Preis 2016 der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein entgegen.

In einer sehr persönlichen Laudatio verriet der Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) Dr. Christian Kuhnt, dass auch ihn seit vierzig Jahren eine enge Beziehung mit dem Preisträger verbinde. Als Neunjähriger mit Hornbrille und braunem Polyester-Rollkragenpullover habe er Mozarts A-Dur-Klavierkonzert in der Interpretation von Christoph Eschenbach gelauscht. Dank dieser Aufnahme habe er schon früh eine ihm bis dahin unbekannte Dimension von Musik entdeckt: die Tiefe, die in allen Konzerten des Maestro erlebbar sei. “Nichts ist flüchtig, nichts schnell dahingeworfen. Seine Konzerte lassen beim Publikum keinen Raum für Gleichgültigkeit. Sie berühren, trösten und fordern.” In wenigen Sätzen skizzierte Kuhnt den Lebensweg Eschenbachs. Die traumatische Erfahrung der Kindheit, die in den ersten Jahren geprägt war vom Tod der Familie und der Flucht aus der Heimat, mündete in einer Sprachlosigkeit, aus der die Musik den kleinen Christoph befreite. „Die Eindrücke forderten Ausdruck“, habe Christoph Eschenbach später erklärt. Musik half dem traumatisierten Jungen zurück ins Leben und ist seitdem seine Berufung und Lebenselixier. Seine internationale Karriere führte ihn in die ganze Welt. Egal, wo Christoph Eschenbach wirkte und wirkt, immer habe er sich mit Leidenschaft um den musikalischen Nachwuchs gekümmert. Tzimon Barto, Renée Fleming, Julia Fischer und Lang Lang seien die prominentesten Namen unter den von ihm mit Engagement Geförderten. „Vieles an Unterstützung geschieht im Verborgenen und ist auf Nachhaltigkeit angelegt.“ Dazu gehöre auch seine Arbeit mit dem Schleswig-Holstein Festival Orchester, dessen Principal Conductor er seit vielen Jahren ist. „Auf seine ruhige, konzentrierte Art führt er die Jugend zu Höchstleistungen – immer als Musiker unter Musikern.“ Sichtlich bewegt nahm der Preisträger die Standing Ovations des Publikums entgegen. Seine Liebe gelte seit dem Beginn seiner Karriere dem Komponisten Johannes Brahms und seinem Werk. „Ich fühle mich geehrt und gerührt. Insbesondere, weil die Auszeichnung in Schleswig-Holstein stattfindet, in meiner zweiten Heimat,“ bedankte sich Eschenbach. Dass er das richtige Gespür für junge Talente hat, bewies der 28jährigen Ausnahmepianist Christopher Park, den der Maestro zur Preisverleihung mitgebracht hatte. Mit viel Gefühl malte er die Passagen in Brahms‘ Händel-Variationen in leichten, lichten Farben aus und verströmte genau jenen Elan, der zu diesem vor Einfällen überschäumenden Stück eines Endzwanzigers passt. Die enge musikalische Verbundenheit mit seinem Mentor zeigte sich danach bei Brahms‘ “16 Walzern für Klavier zu vier Händen”, die Eschenbach und Park mit Leichtigkeit und Frische, ohne die sonst bei Brahms oft durchscheinende Melancholie, in tänzerischer Lebenslust und heiterer Spielfreude zusammen darboten. “Sie hätten auch im Walzertakt zusammen tanzen können” war Heimke Stegelmann aus Kiel vom Gleichklang der beiden Künstler begeistert. “Eine wunderbare Veranstaltung, sie sich von Minute zu Minute gesteigert hat.” Auch die junge Klavierschülerin Lina Beeck aus Meldorf war sichtlich beeindruckt von der Aura Eschenbachs. “Es geht eine faszinierene Ausstrahlung von ihm aus.” Und ihre Mutter Merle Fromberg-Beeck ergänzte: „Er besitzt ein Charisma, das einfach begeistert.“

Ein Künstler von Weltrang
Christoph Eschenbach bekommt Brahms-Preis 2016

Christoph Eschenbach. Foto Eric BrissaudEr ist ein Ausnahmekünstler: Vom internationalen Pianisten-Star stieg Christoph Eschenbach zum weltweit gefragten Dirigenten auf. Am liebsten würde er auch mit 100 dirigieren, so Eschenbach anlässlich seines 75. Geburtstages im letzten Jahr. Am 12. Mai wird er in Wesselburen mit dem Brahms-Preis 2016 der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein ausgezeichnet. „Er ist ein Preisträger von Weltrang“ freut sich dessen Vorsitzender Joachim Nerger. Als Ausdrucksmusiker par excellence schaffe er es wie nur wenige andere, die Musik mit Emotion aufzuladen und den Meisterwerken ein zutiefst menschliches Gesicht zu geben. Andreas Guballa hat Christoph Eschenbach getroffen.

Herr Eschenbach, wie wichtig ist Brahms in Ihrem Leben als Dirigent und Pianist?

Ungeheuer wichtig. Er ist einer meiner Lieblingskomponisten, auch auf dem Klavier. Ich habe seine Sonaten, viele der Intermezzi und Klavierkonzerte gespielt – insofern ist Brahms die Nummer Eins bei mir.

Was sind die besonderen Herausforderungen bei seinen Kompositionen?

Jedes Werk verfolgt eine eigene Dramaturgie, aber alle sind sie extrem dicht durchgearbeitet und strukturell komplex. Brahms war sehr selbstkritisch und hat zahllose Werke vernichtet, wenn sie seinem hohen Anspruch nicht genügten. Von dieser hohen Komplexität darf das Publikum allerdings nicht viel spüren, denn Brahms‘ Musik ist gleichermaßen voller Leidenschaft und Emotion: gewissermaßen Kopf und Seele zugleich. Diese große Form muss man als Dirigent und Solist beherrschen können. Man muss ausloten, wo man sich Freiheiten erlauben darf und wo weniger. Insofern bietet Johannes Brahms ungeheure Schwierigkeiten, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Ich habe das mein Leben lang getan und unglaubliche Freude daran gehabt. Noch heute entdecke ich neue Sachen.

Hört man bei seinen Werken heraus, dass er ein „norddeutscher Jung“ ist?

(lacht) Irgendwie vielleicht. Aber er hat sehr früh in seinem Leben durch einen Freund, dem Geiger Eduard Remenyi, die Volksmusik der Ungarn kennengelernt. Das Land hat in fasziniert und daher gibt es diese unglaublich starken folkloristischen Elemente in seiner Musik.

Am 12. Mai wird Ihnen der Brahms-Preis 2016 verliehen. Wie wichtig sind Ihnen Preise im allgemeinen und dieser insbesondere?

Wenn man ausgezeichnet wird, ist jeder Preis wichtig. Aber ich habe mich sehr gefreut, dass ich ausgerechnet den Brahms-Preis erhalte, weil Brahms eine so wichtige Rolle in meinem Leben spielt und weil die Auszeichnung in Schleswig-Holstein stattfindet, meiner zweiten Heimat. Ich fühle mich geehrt und gerührt.

Sie haben Ihre Laufbahn als Pianist begonnen. Hat das Ihre Pultkarriere beeinflusst? Oder würden Sie heute anders dirigieren, wenn Sie nicht als Pianist angefangen hätten?

Drehen wir die Frage mal um. Ich habe immer versucht, auf dem Klavier Orchester zu spielen und es singen zu lassen. Man sollte nicht hören, dass es eigentlich nur aus Stahlsaiten und einem Holzgerüst besteht. Insofern bin ich früh in die Subtilitäten der Instrumentation eingedrungen. So hat sich beides verschmolzen. Aber ich spiele seit über 30 Jahren keine Klavierabende mehr, weil ich keine Zeit habe, mir neues solistisches Repertoire anzueigen. Auch wenn ich hier und da eine Ausnahme mache, sind das fünf Prozent meiner Tätigkeit.

Zurück zum Dirigenten Christoph Eschenbach. Sie haben sechs Jahre lang das NDR Sinfonieorchester geleitet und übernahmen 2010 die künstlerische Leitung des National Symphony Orchestra in Washington. Gibt es Unterschiede in der Orchester-Klangkultur jenseits und diesseits des Atlantiks.

Früher sagte man, dass die amerikanischen Orchester sehr brillant seien, aber kühl. Und die europäischen Klangkörper wärmer spielten, aber dafür nicht so präzise. Das hat sich sehr gewandelt durch die vielen Orchestertourneen. Insofern ist es ein Spaß mit beiden zu musizieren.

Seit 2004 leiten Sie die Orchesterakademie des SHMF. Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit jungen Musikern?

Es ist eine wunderbare Sache, dass junge Musiker aus 30 Nationen zusammenkommen und innerhalb von ein paar Tagen schon miteinander harmonieren. Egal aus was für Schmieden und Ländern sie kommen oder welche Mentalitäten sie haben. Nach wenigen Tagen sind sie ein musikalischer Körper geworden und gehen mit einem unglaublichen Enthusiasmus und großer Frische an den Start. Das macht einen Riesenspaß.

Es gibt immer wieder musikalische Perlen, die Sie entdeckt haben wie Lang Lang. Nach Wesselburen kommen Sie mit Christopher Park, ein „Pianist wie ein Paukenschlag“ wie die Presse schreibt. Was schätzen Sie an ihm?

Ich schätze seine technische Souveränität und unglaubliche musikalische Reife. Er musiziert von innen heraus und zeigt keine oberflächlichen Kunststücke, auch wenn die Händel-Variationen von Brahms ein sehr schweres Stück ist. Es fasziniert mich, wie er Brahms genauso selbstverständlich spielt wie Mozart und neue Musik.

Was muss ein Künstler mitbringen, dass Sie sich als Mentor für ihn einsetzen?

Musikalische Tiefe, Brillianz und ein Charisma, das ein Publikum begeistert. Christopher Park hat das.

Sie können auf eine langjährige Karriere zurückblicken. Was sind für Sie unvergessliche Momente?

George Sell und Herbert von Karajan waren große Mentoren zu Beginn meiner Pianisten-Karriere. Ich durfte mit ihnen arbeiten und sie um Rat fragen. Und sie haben mir wertvolle Ratschläge gegeben.

Sie haben im letzten Jahr Ihren 75. Geburstag gefeiert. Ist Alter ein Thema für Sie?

Alter wird dann nicht mehr zum Thema, wenn man sich der Musik hingibt. Musik hält einen jung und lässt einen das Alter vergessen. Das ist die beste Medizin.

Gibt es noch Pläne und Herausforderungen, die Sie in den nächsten Jahren angehen wollen?

Ich mache sehr viel neue Musik und zahlreiche Uraufführungen mit meinem Orchester in Washington. Die neue Musik bleibt eine große Komponente in meinem Leben. Darüber hinaus gibt es einige Komponisten, zu denen ich spät gekommen bin, aber deren Tür sich sehr weit geöffnet hat in den letzten Jahren wie Schostakowich und Sibelius. Gerade im Repertoire des 20. Jahrhunderts ist noch einiges offen.

Frischer Wind im Klassikbetrieb
Musikalisches Feuerwerk zum Auftakt der Brahmswochen

Mit einem fulminanten Doppelkonzert und einem kulinarischen Intermezzo wurden am Samstag die Brahms-Wochen 2016 im Stadttheater Heide eröffnet. Das englische Carducci Streichquartett begeisterte die Zuschauer zunächst mit einem klassischen Kammermusikabend, bevor die fünf Hamburger Teufelsgeiger von G-Strings ein musikalisches Feuerwerk über alle Genregrenzen hinweg entfachten.

Zwei Bühnen, zwei Streichensembles wie sie unterschiedlicher nicht sein können – dazu gutes Essen in entspannter Atmosphäre. So lautete nach dem Erfolg des letzten Jahres erneut das Konzept des Auftaktkonzerts der Brahms-Wochen 2016 im gut besuchten Stadttheater Heide.

Carducci String Quartet Foto GuballaGanz klassisch ging es los mit dem jungen Carducci String Quartet, das mit Feuereifer und jugendfrischem Elan bewies, das es zu recht als „Meister von morgen“ gefeiert wird. Schon im eröffnenden B-Dur-Quartett von Mozart ließen die ‚Carduccis‘ – ihre Spielfreude funkeln. So spritzig und zugleich delikat musiziert, wirkt der gute alte Mozart plötzlich wie neugeboren.

Das Streichquartett Nr. 11 von Dmitri Schostakowitsch führte in eine Welt der Trauer und Melancholie. Das musikalische Gedenkwerk an seinen kurz zuvor verstorbenen Jugendfreund Wassili Schirinski verliert lediglich im Scherzo etwas von seiner grüblerischen Dunkelheit. Auch hier durchlebte das Carducci Quartett die emotionalen Extremzustände mit einer Intensität, die einem den Atem raubte. Ohne dem Werk eigenes inspiratorisches Feuer und Emotionen aufzudrücken, ließen sie die sieben Charakterstücke als vielschichtige Trauerarbeit für sich sprechen. Als „kammermusikalische Zangengeburt“ hatte Johannes Brahms selbst sein Streichquartett a-Moll bezeichnet. Die kompakte Komposition ist vollgepackt mit enger motivischer und kontrapunktischer Arbeit, klanglichen und technischen Herausforderungen. Kein Problem für Matthew Denton (Violine), Michelle Fleming (Violine), Eoin Schmidt-Martin (Bratsche) und Emma Denton (Cello). Das anglo-irischen Ensemble brillierte auch hier durch seine Expressivität. Bei so einer bedingungslosen Hingabe an die Musik muss man sich um die Zukunft der Kammermusik keine Sorgen mehr machen.

Gestandene Musiker sind die fünf Streicher des NDR Elbphilharmonie Orchesters, die sich 1993 zu den G-StringsG-Strings Foto Guballa
zusammengefunden haben und seitdem gegen eingefahrene Hörgewohnheiten anspielen. Mit einem Klangfeuerwerk aus Klassik, Jazz, Tango, Rock und Pop überwanden Stefan Pintev und Rodrigo Reichel (Violine), Jan Larsen (Bratsche), Vytas Sondeckis (Cello) und Frank Skriptschinski (Kontrabass) musikalische Grenzen unterschiedlichster Genres. In außergewöhnlichen Arrangements eröffneten sie klopfend, zupfend und kratzend ungeahnte Möglichkeiten ihrer Instrumente. Mit ihrer ungeheuren Bandbreite vom „Hauskonzert mit Bierchen“ über das gespenstische Arrangement von Stings „Moon over Bourbon Street“ bis hin zur zartbitteren Poesie Astor Piazzollas erzeugten die G-Strings neue Hörraume für das begeisterte Publikum ohne den Originalen ihre Seele zu rauben. Das Publikum jubelte, die Teufels-Streicher strahlten. Das Experiment, durch die Brahms-Wochen frischen Wind in den Klassikbetrieb zu bekommen, ist gelungen.

Intensives Zusammenspiel
Der Pianist Per Rundberg und das Elbquartett bieten makellose und klangsensible Kammermusik

Beim ausverkauften Adventskonzert der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein auf der Museumsinsel Lüttenheid wurde das Publikum von den vier Streicherinnen des Elbquartetts aus Hamburg, Harim Chun (Violine), Barbara Gruszczynska (Violine), Aline Saniter (Viola) und Bettina Barbara Bertsch (Cello), und dem schwedischen Pianisten Per Rundberg musikalisch reich beschenkt.

Zunächst gaben die Akteure ihre musikalische Visitenkarte mit eher zahmen Kompositionen der Romantik ab. Per Rundberg eröffnete die dreisätzige Klaviersonate C-Dur von Mozart mit einem heiter-unbeschwerten Allegro, dem nach einem breiten Intro ein verträumtes Andante folgte. Unbefangen schloss das Allegretto mit fröhlichem Laufwerk, wie herumtollende Kinder, bis ein entschiedener Schlussakkord dem Treiben ein Ende setzte.

Die vier Damen des Hamburger Elbquartetts überzeugten in Haydns Streichquartett B-Dur op 76/4 durch perfekte Technik und hohe Klangkultur. Das „Sonnenaufgangsquartett“ barg gerade zu Beginn romantische Melodien, klangliche Dynamik, bewegte Tutti-Abschnitte und erzeugte so immer wieder neue Spannungen.

Per Rundberg und Elbquartett aus HamburgNach der Pause legten sich die fünf Musiker dann aber kraftvoll und leidenschaftlich, ja voller Klangdramatik und Expressivität, im fünfsätzige Hauptwerk des Abend, Schostakowitschs Klavier-Quintett g-moll, ins Zeug. Mit seinem Klavierquintett meldete Schostakowitsch sich im Jahr 1940 an der Spitze des sowjetischen Musiklebens zurück. Vier Jahre zuvor war der Komponist, der in den 1920er- und 30er-Jahren mit seinen frechen und modernen Werken international Aufsehen erregt hatte, von der Regierungszeitung „Pravda“ gefährlich gemaßregelt worden. Im Klavierquintett gab Schostakowitsch sich nun – an der Oberfläche – als geläuterter Klassizist und gestaltete – nach dem Vorbild Johann Sebastian Bachs – die beiden ersten Sätze als Präludium und Fuge. Der Musik Bachs verwandt erscheint auch die glasklare Linienführung des Werkes, in dem jede Note exakt kalkuliert erscheint. Eindringlich bewältigte Rundberg den Klavierpart, entwickelte mit den Streicherinnen eine starke Intensität des Ausdrucks. Das

Durchdringen des Liniengeflechts im ersten Satz, das Herausarbeiten des polyphonen Klanggewebes in der Fuge gelang den Interpreten fesselnd.
Am meisten Effekt macht das Scherzo, in das sich der Pianist und die Streicherinnen mit furioser Verve hineinsteigerten, mit heftiger Streichergeste und markantem, teils gläsernem und funkelndem Klavierklang. Dieses Scherzo hat mal etwas Graziöses, Witziges, dann wieder etwas Grelles, Sarkastisches, Schneidendes. All dies brachten Elbquartett und ihr schwedischer Gast vorzüglich zur Wirkung. Auch das Intermezzo erklang eindrücklich mit seiner intensiv ausgesungenen Melodie, dem lyrischen Geigengesang zu den Pizzicati des Cellos. Wunderbar beschworen die Interpreten die geheimnisvolle Emotionalität und dichte Atmosphäre dieser Musik. Das Publikum zeigte sich begeistert von diesem intensiven Zusammenspiel und ließ die Musiker nicht ohne Zugabe gehen. (Text/Bild: Guballa)

Musikalischer Gruß aus Leipzig
Wenn fünf Freunde zechen und singen

Die A-Capella-Formation „Ensemble Nobiles“ eröffnet die winterliche Konzertreihe der Brahms-Gesellschaft auf der Museumsinsel Lüttenheid und lässt dort die Tradition der Leipziger Liedertafel wieder aufleben.

Document made with KompoZerAnfang des 19. Jahrhunderts versammelten sich Männer, verbunden durch die begeisterte Liebe zu gutem Essen, vorzüglichen Weinen und dem gemeinsamen Gesang, zu geselligen Runden, den so genannten Liedertafeln. Diese Zusammenkünfte begründeten die Tradition der Männerchöre – zuvor gab es nur Kirchenchöre wie den Leipziger Thomanerchor, aus dem auch die Mitglieder des „Ensemble Nobiles“ hervorgegangen sind: die Tenöre Paul Heller und Christian Pohlers, Bariton Felix Hübner und die Bässe Lukas Lomtscher und Lucas Heller. Bereits als Sängerknaben im Matrosenanzug waren sie im Jahr 2002 zur Brahms-Preisverleihung an den Thomanerchor Gast der Brahms-Gesellschaft im Meldorfer Dom. Nun eröffneten die fünf sympathischen Sänger als gestandene Musiker im schwarzen Anzug mit einem Potpourri von Liedern, wie sie auch in Auerbachs Keller erklungen haben könnten, die winterliche Konzertreihe auf der Museumsinsel Lüttenheid und verzauberten das Publikum mit höchster stimmlicher Präzision, mit Witz, Temperament und Spaß vom ersten Ton an. Natur und Landschaft, Liebe und Leidenschaft waren Themen der Lieder, die das 2006 gegründete Ensemble darbot. Darunter „Der frohe Wandersmann“ von Felix Mendelssohn Bartholdy, der „Sommermorgen“ des Thomaskantors Moritz Hauptmann, „Ich ging durch einen grasgrünen Wald“ in der Bearbeitung von Max Reger oder „Im schönsten Wiesengrunde“ von Fritz Weiße, bei dem das Publikum mitsingen durfte. Auch in den Stücken von Schumann, Veit und Grieg offenbarte jeder der fünf Stimmakrobaten Soloqualitäten und verwies all jene in die Schranken, die behaupten, dass ein Männerchor nur „laut und grölend“ klingen kann. In der Vertonung von Heinrich Heines „Ich halte ihr die Augen zu“ gab’s auch mal eine sächsische Zeile zur Kostprobe – nur einer von vielen Beweisen, dass die Musikstudenten neben ihrer beeindruckenden Gesangsqualität auch eine feine Form der Selbstironie besitzen. Ganz in der Tradition der musikalischen Romantik stehen auch die Gegenwartskompositionen des thüringischen Dirigenten, Komponisten und Hochschuldozenten Fredo Jung. Seine bildhaften Vertonungen dreier Wilhelm Busch Gedichte verfehlten durch die gelungene Interpretation des Ensemble Nobiles seine Wirkung nicht und machten sowohl dem Publikum als auch den Interpreten sichtlich viel Spaß. Passend zum Ende verabschiedeten sich das A-Capella-Quintett mit „Lebewohl“ von Friedrich Silcher und einer erklatschten Zugabe von Brahms‘ „In stiller Nacht“ als Gruß an den Genius Loci, bevor sie am CD-Stand dem begeisterten Publikum noch für Lob, Fragen und Autogramme zur Verfügung standen. Eckart Besch, langjähriger Vorsitzender der Brahms-Gesellschaft und selbst ehemaliger Thomaner, brachte es auf den Punkt: „Wie viel Arbeit und Üben hinter der nötigen Stimmtechnik steckt, ahnt das Publikum selten, aber der Klang ist einfach perfekt, und das hört jeder.“ (Text/Foto: Andreas Guballa)

Fest der Tasten und Töne
Mit einem kraftvollen Finale enden die Brahms-Wochen 2015 in neuer Location

Was für ein Fest der Tasten und der Töne! Dort wo sonst Luxustransporter auf Käufer warten, herrschte am Sonnabend festliche Stimmung und gespannte Erwartung bei den rund 300 Besuchern der Sommer-Klaviernacht der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein.

Mit dem ihnen eigenen Gespür für besondere Orte hatten die Organisatoren zum ersten Mal das Transport-Center von Nord-Ostsee-Automobile Heide als neue Spielstätte für den jährlichen Konzert-Marathon auserkoren. Gewidmet war das musikalische Sommerfest, das mit zwei langen Pausen auch den Gesprächen und dem Genuss von kulinarischen Gaumenfreuden aus dem Hause „Erheiterung Böhe“ Raum gab, der großen Klaviermusik und ihren Interpreten: Mit Katharina Treutler, Danae Dörken und Rolf Plagge war es dem Vorsitzenden Joachim Nerger gelungen, drei Künstler zu verpflichten, die das Publikum mit ihrem facettenreichen Spiel und einem abwechslungsreichen Programm in Begeisterung versetzten. „Eine Bereicherung des Heider Kulturlebens,“ war sich Wolfgang Weidig am Ende des Abends mit allen Anwesenden einig.

Katharina TreutlerMit differenzierter Dynamik und einem nicht zu schnellen Zeitmaß begann Katharina Treutler den Konzertmarathon mit zwei der acht Klavierstücke op. 76 von Johannes Brahms. Die in zahlreichen internationalen Wettbewerben ausgezeichnete Erfurterin fächerte in den Miniaturen ein vielfarbiges Kaleidoskop auf: von wehmütig bis graziös, von tänzerisch heiter bis düster-schaurig ist alles dabei. Mit den tonmalerischen Sätzen „Aus dem Volksleben“ von Edvard Grieg bewies Treutler ihre Qualitäten als versierte Pianistin und künstlerische Persönlichkeit. Einfühlsam oder auch knorrig zeichnete sie den rauen Charme der norwegischen Landschaft und den oft derben Humor ihrer Menschen nach. Von seltener Kraft war der dunkel getönte Anfang von Robert Schumanns Sonate fis-Moll op. 11, und auch darüber hinaus blieb die zierliche Frau dicht am Puls dieser an Schönheiten wie Abgründen reichen Musik.

Dass sie mehr zu bieten hat als flinke Finger plus Anderthalb-Oktaven-Griff, bewies nach der ersten Pause die Deutsch-Griechin Danae Dörken. Auch die 23jährige hatteDanae Dörken mit den „Vier Klavierstücken op. 119“ zunächst ihren Brahms im Gepäck. Virtuose Akkord-Figurationen setzten in Dörkens Interpretation erste magische Glanzpunkte. Kaum zu glauben, dass sie diese Komposition zum allerersten Mal öffentlich auf die Konzertbühne brachte. Johannes Brahms‘ Spätwerk umfasst auf kurzem Raum noch einmal das ganze Ausdrucksspektrum seiner Klaviermusik: Sehnsüchtiges und Fröhliches, Graziöses und Pompöses, Heiteres und tief Trauriges. Dörken gestaltete das Spätwerk des Komponisten mit Dithmarscher Wurzeln mit einer faszinierend persönlichen Note und traf den Sinn mit jeder einzelnen Note.

Auch Robert Schumanns Fantasie op. 17 spielte die in Wuppertal geborene Musikerin mit viel Poesie und traf auf ideale Weise den speziellen Ton, den diese Musik benötigt. Sie gab der Komposition Struktur und Relief, spielte mit Tempi und Klängen, mit Formen und Farben, und lotete die Partitur so nuanciert aus, wie es selbst die Großen der Szene nur selten hinbekommen.

Rolf PlaggeBereits drei Mal war Rolf Plagge zu Gast bei Konzerten der Brahms-Gesellschaft. Gern kam er daher der Bitte nach, auch einmal bei der Sommer-Klaviernacht zu spielen. Obwohl sich der Gewinner vieler Wettbewerbspreise mit Vorliebe wenig bekanntem Repertoire widmet, hatte sich der 55jährige in seiner Programmauswahl für zwei Klassiker der Klaviermusik entschieden. Kühn und aufwühlend gestaltete der Hochschulprofessor am Salzburger Mozarteum zunächst die Rhapsodien op. 79 von Johannes Brahms und arbeitete die symphonisch-dramatischen Züge der Komposition mit überlegter Kraft heraus. Mit imponierender pianistischen Brillanz und geradezu schwindelerregender Virtuosität beendete Plagge mit Franz Liszts Sonate h-moll das Erlebnis großer Tastenkunst. Da wirbelte, rauschte, explodierte es abschließend, dass man zeitweilig den Eindruck hatte, der Pianist müsse wohl jeweils vier Hände und Füße besitzen, um diesen unwiderstehlichen Mahlstrom in Gang zu setzen, der die Hörer unaufhaltsam in seinen Bann zog. (Text/Fotos: Andreas Guballa)

Musik für junge Ohren
Musikpädagogin Christina Dean will Musik mit allen Sinnen begreifbar machen

Christina Dean. Foto Marcus KrügerEinen musikalisch bewegten Nachmittag für Kinder ab drei Jahren und deren (Groß)Eltern erwartet die Besucher der Familienkonzerte der Brahms-Gesellschaft am Sonntag im Brahmshaus. „Wir wollen Kindern auf diese Weise die Möglichkeit geben, klassische Musik spielerisch kennen zu lernen“, so Vorsitzender Joachim Nerger, der die Musikpädagogin Christina Dean vom NDR nach Heide eingeladen hat. Christina Dean verschreibt sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit und vielen neuen Ideen der Musik-Vermittlung an die Jüngsten unserer Gesellschaft. Mit unterschiedlichsten Mitteln gelingt es ihr, die Kleinen für die klassische Musik zu begeistern und neue Horizonte zu öffnen. Zusammen mit dem Cellisten Sven Forsberg und dem Pianisten Christof Hahn wird sie ihre jungen Besucher im Brahmshaus mit Beethovens Papageno-Variationen vertraut machen und weitere musikalische Überraschungen bereithalten.
Andreas Guballa hat mit ihr gesprochen.

Foto: Marcus Krüger

Wie schaffen Sie es immer wieder, den Nachwuchs für klassische Musik zu begeistern?

Wir geben unsere Liebe zu der Musik an die Kinder weiter und spielen mit ihr. Durch das Hören erobern die Kinder die Musik und machen Aktionen dazu, Wenn ich so ein Projekt vorbereite, versuche ich mich daran zu erinnern, wie es war, als ich ein Kind war und Musik gehört habe. Und obwohl man die Stücke so wahnsinnig gut kennt, lernt man sie immer wieder neu kennen und verliebt sich in sie. Die Essenz einer Komposition benennen wir dann, so dass die Kinder sie nachvollziehen können.

Was setzen Sie der Auffassung vieler Erwachsener entgegen, Kinder könnten nicht lange still sitzen und zuhören?

Zuhören muss man lernen. Man kann nicht einfach sagen: nun setz‘ dich doch mal hin und hör‘ Musik. Dann ist man steif und die Musik dringt nicht ein. Was ich versuche, ist, eine Atmosphäre zu schaffen, in der man sich wohl fühlt. Deshalb muss in den ersten drei Minuten auch gelacht werden, damit die Kinder in die Musik hineingehen können. Es gibt keine Trennung – da vorne ist die Musik und hier bin ich. Wir übersetzen die Bewegung, die in der Musik vorhanden ist, in Spielszenen oder kleine Choreografien.

Haben Sie ein Botschaft?

Unser Ziel ist es nicht, dass plötzlich mehr junge Leute ins Konzert gehen. Was wir erreichen wollen, ist, dass Musik zu einem Bestandteil des normalen Lebens wird und man sie aktiv wiedergeben kann. So wie man Literatur erobert, wünschen wir uns, dass die Heranwachsenden auch ein musikalisches Repertoire kennenlernen. Dann geht man später auch ganz selbstverständlich ins Konzert, weil man mit der Musik vertraut ist. Ein Musikstück zu lernen ist wie sich eine Stadt zu erobern. Wenn ich zum ersten Mal in London bin, schnuppere ich am ersten Tag nur Atmosphäre. Dann nehme ich den Stadtplan und sehe mir Sehenswürdigkeiten an und bekomme eine Struktur der Stadt in meinem Kopf. Am dritten Tag habe ich vielleicht schon einige Lieblingsstellen und dann weiß ich ganz genau, wohin ich gehen möchte. Jeder kann sich so einen eigenen Zugang schaffen und entscheiden wie er sich die Stadt respektive die Musik erobert.

Fehlen heutzutage die elterlichen Vorbilder?

Ganz viele Erwachsene sagen, wenn sie so an Musik herangeführt worden wären wie ihre Kinder, dann würden sie auch häufiger ins Konzert gehen. Daher erreichen wir bei diesen Familienkonzerten mindestens zwei, wenn nicht sogar drei Generationen, weil die Großeltern meistens auch mit dabei sind. So gewinnen wir die Menschen altersübergreifend, denn Musik kennt ja keine Altersgrenzen. Nur die Erfahrungen mit ihr sind anders.

Tut die Schule zu wenig für die Musikvermittlung Heranwachsender?

Ich glaube das Problem ist, dass die Verantwortlichen immer meinen, Musik sei ein Luxus. Nach dem Motto: wenn ich es mir gut gehen lassen will, esse ich ein Stück Käsekuchen und höre ein bisschen Vivaldi. Aber Musik ist kein Käsekuchen, sondern eine Kunst. Und wenn ich mich mit Kunst beschäftige, lerne ich auch die Welt kennen. Man lernt kreatives, variables und organisches Denken, während man in der Schule eher linear lernt. Daher finde ich es problematisch, wenn künstlerische Unterrichtsfächer immer häufiger wegfallen.

Was erwartet die Besucher beim Familienkonzert?

Wir betten die Musik in eine Geschichte ein. Zuerst ist von Mendelssohns „Lied ohne Worte“ der Text verloren gegangen und die Kinder müssen einen neuen Text erfinden. Und dann kommt Beethoven, der traurig ist, weil er so gerne Mozart kennengelernt hätte. Deswegen nimmt er sich die Melodie „Ein Mädchen oder Weibchen“ als Thema und spielt damit – mal tänzerisch-launig, mal tief betrübt. Zu den Motiven, die unser Cellist Sven Forsberg und unser Pianist Christof Hahn spielen, erfinden wir wieder kleine Spielaktionen. Der Saal ist also aktiv gefordert dabei zu sein, mitzusingen und aufmerksam zuzuhören.

Was sind die Herausforderungen?

Die Instrumentalisten müssen nicht nur musizieren, sondern die ganze Zeit auch wachsam sein, für das, was die Kinder tun. Da kann es schon mal passieren, dass ein Kindern unters Klavier krabbelt. Teilweise müssen sie auch mitspielen. Sie sind also nicht nur als Musiker gefragt, sondern auch als Menschen, die den Kindern begegnen. Ich als Moderatorin muss den Saal so vorbereiten, dass die Besucher sich wohl fühlen, gern mit uns spielen und sich auf die Musik einlassen. Uns macht das jedes Mal riesengroßen Spaß.

Sonntag, 17. Mai 2015
15 Uhr (ausverkauft)
17 Uhr
Dauer: zirka 50 Minuten
Brahms-Haus, Lüttenheid 34
Karten: 5 Euro

Sein Leben teilt er mit dem Orchester
Dirigent Thomas Hengelbrock erhält den bundesweit beachteten Brahms-Preis

Thomas Hengelbrock und das NDR JugendsinfonieorchesterDie jungen Musiker des NDR-Jugendsinfonierochesters sitzen schon alle auf der Bühne. Plötzlich geht ein Raunen durch den großen Saal im Elbeforum. Es wird geklatscht. Erst etwas verhalten, dann immer lauter werdend. Die Hauptpersonen des Abends haben sich auf ihre Plätze in den vorderen Zuschauerreihen begeben: Dirigent Thomas Hengelbrock und Schauspieler Klaus Maria Brandauer. Der eine der Brahms-Preisträger 2015, der andere der Laudator.
„Für uns ist es eine große Ehre, dass einer der am meisten gefeierten und gefragten Schauspieler der Welt trotz seines sicherlich engen Terminkalenders zu uns gekommen ist“, sagt Joachim Nerger, Vorsitzender der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein. Mindestens genauso freue es ihn natürlich, dass der berühmte Dirigent Thomas Hengelbrock nach Dithmarschen gereist ist – in die Heimat Brahms – und dabei gleich ein ganzes Sinfonieorchester mitgebracht hat. Das Programm der jungen Musiker und ihres Dirigenten verspreche einen Hörgenuss. Nach der Preisverleihung wird Hengelbrock die Symphonie Nummer 8 von Antonin Dvorak dirigieren. In seiner kleinen Festansprache dankt Nerger insbesondere Verlegerin Inken Boyens: „Als Medienpartner bietet uns Boyens Medien unermessliche Hilfe, unsere Dinge nach außen zu kommunizieren.“
Die 1987 auf Initiative von Justus Frantz gegründete Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein verleiht einmal im Jahr den bundesweit beachteten Brahms-Preis. Mit dieser besonderen Auszeichnung werden renommierte Musiker geehrt, die sich um das Werk Johannes Brahms’ besonders verdient gemacht haben. Die Wahl ist diesmal auf Thomas Hengelbrock gefallen, dessen Aufführung von Brahms‘ Requiem große Bewunderung geerntet hat. Außerdem setze sich der international tätige Chefdirigent des NDR-Sinfonieorchesters für den musikalischen Nachwuchs ein. Dies zeige sich vor allem in seiner Arbeit mit der Akademie und dem Jugendsinfonieorchester des Norddeutschen Rundfunks.
„Mit Ihren Auftritten auch hier in Schleswig-Holstein, mit Ihrem Schaffen am Dirigentenpult haben Sie immer deutlich gemacht, was Sie für die Musik von Brahms empfinden“, würdigt auch Kulturstaatssekretär Eberhard Schmidt-Elsaeßer das musikalische Wirken Hengelbrocks, bevor Klaus Maria Brandauer seine mit Spannung erwartete Laudatio beginntKlaus-Maria Brandauer, Thomas Hengelbrock und Ehefrau Johanna
Der große Schauspieler und der berühmte Dirigent. Erst im vergangenen Jahr hatten sie gemeinsam ein ganz besonderes Projekt mit dem NDR-Sinfonieorchester auf die Bühne gebracht – den „König der Nacht“. Ein abendfüllendes Musikdrama für Sprecher und Orchester. Brandauer, immer davon ausgegangen, völlig unmusikalisch zu sein, fungierte als Sprecher. Je mehr der große Mime aus Wien erzählt, umso deutlicher wird, dass Brandauer und Hengelbrock eine tiefe, künstlerische Freundschaft verbindet. „Du brennst – für die Dinge, die Du vorhast. In Dir lodert ein Feuer, das ist für jeden spürbar“, sagt Brandauer. Hengelbrock sei auf dem besten Wege eine Legende zu werden. „Du hast so viel Feuer, teile es mit uns. Merci Tom.“
Hengelbrock lässt sich nicht zweimal bitten: „Jetzt spielen wir noch ein bisschen“, sagt er zu den Musikern gewandt, kurz nachdem er die große Auszeichnung von Joachim Nerger entgegengenommen hat. „Mein Beruf ist ein Geschenk für mich. Kunst machen heißt für mich, mein Leben zu teilen.“ Mit dem Orchester. Die jungen Musiker des NDR-Jugendsinfonieorchesters danken es dem großen Dirigenten mit einer bravourösen Leistung.
(Text/Fotos: Michaela Reh/ DLZ 6.Mai 2015)

Die brennende Fackel der Begeisterung weitergeben
Brahms-Preis 2015 an Thomas Hengelbrock

Der Dirigent Thomas Hengelbrock wird mit dem diesjährigen Brahms-Preis ausgezeichnet und damit unter anderem für sein besonderes Engagement für die Ausbildung junger Musiker geehrt.

Thomas HengelbrockMit seinem Einfallsreichtum, seiner musikwissenschaftlichen Entdeckerlust und seiner kompromisslosen Art des Musizierens zählt Thomas Hengelbrock zu den gefragtesten Dirigenten unserer Zeit. Unkonventionell, überraschend und vielfältig sind die Konzertprogramme und Opernprojekte, die er seit zwei Jahrzehnten mit seinem Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble und seit 2011 als Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters gestaltet. Am 4. Mai wird der 54jährige im Elbeforum Brunsbüttel mit dem Brahms-Preis der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein ausgezeichnet. „Mit Thomas Hengelbrock haben wir einen großen Künstler und offenen Geist zum Preisträger 2015 erkoren, der mit unverbrauchtem Blick auf die Musikgeschichte auch dem Publikum neue Perspektiven ermöglicht“ freut sich Joachim Nerger, Vorsitzender der Brahms-Gesellschaft, die alljährlich seit 1988 aus der Schenkung von Konsul Karl Uwe Böttcher den mit 10.000 Euro dotierten Preis verleiht. Beim Preisträgerkonzert mit dem NDR Jugendsinfonieorchester erklingen Dvo?áks „8. Sinfonie“ sowie Brahms‘ „Streichsextett op. 36“. Die Laudation hält der Schauspieler Klaus-Maria Brandauer. Andreas Guballa hat mit Thomas Hengelbrock gesprochen.

Herr Hengelbrock, was bedeutet Ihnen die Auszeichnung mit dem Brahms-Preis?

Der Brahms-Preis ist ja verbunden mit meinem Engagement für das Jugendsinfonie-Orchester. Ich freue mich, dass diese Arbeit mit der ’nächsten Generation‘ dadurch gewürdigt wird. Die Akademie erfüllt eine Brückenfunktion und führt herausragend begabte Jugendliche und Musikstudenten zusammen, die unter Anleitung von professionellen Musikern auf höchstem Niveau versuchen, die Situation des Berufslebens vorwegzunehmen. Dadurch, dass die Musiker zusammenspielen und auch im Konzert die Möglichkeit haben, mit den alten Hasen zusammenzuarbeiten, ergibt sich ein ganz neuer Einblick.

Wie sehen Sie Ihre Aufgabe als Musiker heutzutage?

Ich glaube, die Aufgaben eines Dirigenten haben sich im Laufe der letzten 20 bis 30 Jahre gewandelt; das Spektrum ist breiter geworden. Die Essenz des Berufes ist es, dass man gute Musik macht, ein Orchester und einen Chor führen kann und mit großer Ausstrahlung ein Publikum erreicht. Aber in Zeiten, in denen die Entwicklung der klassischen Musik vielerlei Gefährdungen ausgesetzt ist, ist es darüber hinaus wichtig, sich auch aktiv auf einer kulturpolitischen Ebene zu engagieren und sich für seine Ensembles und Musiker stark zu machen. Auf der einen Seite muss man dafür sorgen, dass die Kürzungsorgien irgendwann ein Ende haben; auf der anderen Seite muss man sich dafür einsetzen, dass klassische Musik auch in breite Teile der Bevölkerung getragen wird und Menschen aus bildungsfernen Schichten Zugang zu klassischer Musik bekommen. Darüber hinaus ist es eine schöne Aufgabe, Musik auch zu vermitteln und Menschen, die die Nase nicht den ganzen Tag in der Partitur haben, zu zeigen, worum es da eigentlich geht: Was ist das Tolle, Lebensbereichernde und Spannende in der klassischen Musik? So versuche ich auf möglichst vielen Feldern für die Sache zu streiten.

Das haben Sie sehr eindrücklich im letzten Herbst mit dem „Dvo?ák-Experiment“ gezeigt, bei dem sich mehr als 22.000 Schüler aus ganz Deutschland beteiligt haben. Ist das der richtige Weg, um langfristig dem Silbersee im Konzertpublikum entgegenzuwirken?

Das ist nur einer von ganz vielen Parametern. Auch in der Akademie Balthasar Neumann setze ich mich dafür ein, dass jedes neue Projekt mit Schulen vernetzt wird. Es ist wichtig, diese Berührungsängste abzubauen. Wir schaffen Musikerlebnisse, die verdeutlichen, welche – auch sozial verbindende – Kraft das gemeinsame Musizieren hat. In einer Zeit, in der sehr viele zentrifugale Kräfte wirken, ist es wichtig, dass die Musik einen Mittelpunkt bildet, um den sich die Menschen zu einer Gemeinschaft formieren können.

Zur Verleihung des Brahms-Preises kommen Sie am 4. Mai mit dem Jugendsinfonie-Orchester nach Brunsbüttel. Was ist das besondere an diesem Klangkörper und der Arbeit mit ihm?

Dort spielen herausragende Schüler und einige Musikstudenten im Alter von 14 bis 24 Jahren zusammen – ergänzt durch Akademisten des NDR Sinfonieorchesters. Ziel des Orchesters ist es, sie komplementär und ergänzend zu der Arbeit in ihren Schulorchestern ein bis zwei Mal im Jahr in kurzen Arbeitsphasen mit professionellen Musikern und Arbeitsweisen zusammenzuführen. Dabei werden Hemmschwellen abgebaut und es besteht die Gelegenheit mit renommierten Dirigenten zusammenzuarbeiten. Die Vorbereitung leisten meine Konzertmeister und Soloinstrumentalisten. Das ist ein sehr stimulierender Impuls. Mir vermitteln Lehrer von Schülerorchestern, dass das für ihre Arbeit eine sehr starke Motivation ist. Wenn ich durch meinen Einsatz die oft mühsame Arbeit von Musiklehrern ergänzen kann, finde ich das toll.

Kommt es Ihnen dabei eher auf die Vermittlung von Disziplin, Ehrgeiz und Perfektion an oder mehr auf Spaß und Begeisterung?

Wer mich kennt, weiß, dass das eine eher hypothetische Frage ist. Natürlich muss das technische Niveau stimmen. Dabei ist es selbstverständlich, dass das Zusammenspiel technisch sauber und konzentriert sein muss. Auch den Weg zu weisen, wie man dahin kommt, ist wichtig. Das geht nur mit Enthusiasmus und Leidenschaft. Diese brennende Fackel der Begeisterung weiterzugeben, ist ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit.

Zum Preisträgerkonzert kommen Sie mit Dvo?áks 8. Sinfonie nach Brunsbüttel…

Ich wollte zu diesem Anlass keine sperrige, für die Musiker sehr schwierige Brahms-Sinfonie aufführen. Die Sinfonie von Dvo?ák ist ein herrliches Stück, das wir extra zu diesem Anlass einstudieren, und bei dem alle Instrumentengruppen genug Futter haben. Dvo?ák ist ein Komponist, der nicht nur tolle Musik für ein Publikum geschrieben hat, sondern auch besonders herrliche Musik für Musiker. Das kann man nicht von jedem Komponisten sagen.

Die Laudatio hält Klaus Maria Brandauer, mit dem Sie in den letzten Jahren mehrere Projekte realisiert haben. Was schätzen Sie an ihm?

Es ist fantastisch, dass er zugesagt hat und damit zeigt, dass er mit seiner Präsenz diese Nachwuchsarbeit auch unterstützt. Wir arbeiten seit 1996 zusammen und er ist sowohl auf der Bühne als auch im Konzertsaal eine Ausnahmeerscheinung.

Herr Hengelbrock, vielen Dank für das Gespräch.

Infos:
Thomas Hengelbrock (*9. Juni 1958 in Wilhelmshaven) hat sich zunächst als Alte-Musik-Experte einen Namen gemacht. In den 80er-Jahren hat der ausgebildete Geiger Spezialensembles gegründet – bis heute leitet er den Balthasar-Neumann-Chor und das Balthasar-Neumann-Ensemble. Parallel dazu entwickelte der Fußball-Fan sein Profil als Dirigent weiter und überrascht immer wieder mit eigenem Zugriff auf Kompositionen. Seit 2011 ist Hengelbrock Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters und hat mit seinen Auftritten in Hamburg neue Maßstäbe im Konzertleben der Stadt gesetzt. Auf Tourneen durch Deutschland, Europa und Japan hat die Zusammenarbeit Hengelbrocks mit dem NDR Sinfonieorchester auch international ein großes Echo gefunden.

Das NDR Jugendsinfonieorchester wurde 2012 von der Akademie des NDR Sinfonieorchesters gegründet. Mit jährlich zwei Projekten bietet es begabten Nachwuchsmusikern die Möglichkeit, repräsentative Orchesterwerke professionell zu erarbeiten und unter der Leitung renommierter Dirigenten aufzuführen. Das NDR Jugendsinfonieorchester setzt sich aus den Akademisten des NDR Sinfonieorchesters, Studenten der norddeutschen Hochschulen, erfolgreichen Teilnehmern des Wettbewerbs „Jugend musiziert“ und ausgewählten Mitgliedern der führenden Jugendorchester Norddeutschlands zusammen. Die Stimmproben werden von Musikern des NDR Sinfonieorchester geleitet.

Alles andere als verstaubt
Auftaktkonzert der Brahms-Wochen 2015: Klassik trifft Tango

Mit einem fulminanten Doppelkonzert und einem kulinarischen Intermezzo wurden am Samstag die Brahms-Wochen 2015 im Stadttheater Heide eröffnet. Das französische Streichquartett Quatuor Voce begeisterte die Zuschauer zunächst mit einem klassischen Kammermusikabend und anschließend im Zusammenspiel mit dem Bandoneon-Spieler Pierre Cussac bei einer ausgelassenen Nachtmusique mit argentinischen Tangos.

Quatuor Voce und Pierre CussacStreichquartett und Tango – passt das zusammen? Auf jeden Fall waren sich die Besucher am Ende des Auftaktkonzerts der diesjährigen Brahms-Wochen einig. Das Motto des Abend ging so: zwei Bühnen, zwei Musikstile – dazu gutes Essen in einer entspannter Atmosphäre. Für diesen Anlass hatten die Veranstalter fünf Musiker eingeladen, die prädestiniert sind für Grenzüberschreitungen. Das Quatuor Voce, kürzlich von der Cité de la Musique zum „Rising Star“ ernannt, versucht mit ausgefallenen Programmen die klassische Musik aus ihrer traditionellen Umgebung zu lösen. Der Franzose Pierre Cussac spielt sowohl Akkordeon als auch Bandoneon und kommt so mit der Tango-Szene ebenso in Berührung wie mit improvisierter und experimenteller Musik. Dass hier der Erneuerer des argentinischen Tangos, Astor Piazzolla (1921-1992), nicht fehlen durfte, versteht sich von selbst. Er ist der wohl bekannteste Tonsetzer Argentiniens. Mit Elementen des Jazz und der klassischen Moderne erweitete Piazzolla den traditionellen Tango ebenso wie durch experimentelle Klangeffekte der zeitgenössischen Musik. Die fünfsätzige Suite „Tango sensations“ von 1989 entstand nach einer längeren Krankheit des Komponisten und gilt in seiner melancholisch gefärbten Schönheit als musikalischer Abgesang an das Leben. Satztitel wie „Asleep“, „Loving“ oder „Fear“ zeigen, dass er existenzielle Grundsituationen des Lebens im Sinne hatte, die er in komplexer Harmonik und mit einer großen Vielfalt an Farben, Tempi und melodischen Einfällen beschrieb, ohne auf Eingängigkeit zu schielen. Das Quartett mit Sarah Dayan (Violine), Cécile Roubin (Violine), Guillaume Becker (Viola) und Lydia Shelley (Cello) sowie Pierre Cussac am Bandoneon gingen sehr sensibel auf die Stimmungen ein und verleugneten auch nicht die gelegentlichen Härten. Dass man den Tango mit Leidenschaft assoziiert, ist mehr als nur ein Klischee, und so interpretierte Pierre Cussac auch zwei Solostücke für Bandoneon außerordentlich temperamentvoll. Er bewegte sich im Rhythmus der Musik, stampfte den Takt und arbeitete die markanten Rhythmen und den Wechsel zwischen breitem Melodiestrom und scharf abgesetzten Akkorden äußerst plastisch heraus.

Bereits im ersten Konzertteil hatte das Quatuor Voce mit Werken von Beethoven, Ravel und Brahms auf durchgängig hohem Niveau ihre musikalische Visitenkarte abgegeben und die vielfach gelobten Merkmale ihres Musizierstils bewiesen: Hohe klangliche Sensibilität, feinnervige Unverwaschenheit des Klanges, intensives Durchdringen der kompositorischen Strukturen und zupackende Musizierfreude. Voller Emotion trugen sie zunächst das Streichquartett Nr. 4 c-Moll von Beethoven und danach das wundersam-melodiöse und flirrende Quartett F-Dur von Maurice Ravel vor. Da stimmte jeder Tempowechsel, jede Intonation von zartesten Saitenklängen bis zu raffinierten Pizzicato-Passagen. Brahms‘ drittes Streichquartett B-Dur spielten sie frisch, temperamentvoll und präzise. Wer immer noch glaubt, dass klassische Musik verstaubt klingen muss, den belehrten diese vier Künstler endgültig eines Besseren.

Das Experiment, durch die Brahms-Wochen frischen Wind in den Klassikbetrieb zu bekommen, ist gelungen. Eingeschworene Tangofans hatten genauso viel Freude an den klassischen Arrangements wie die Streichquartett-Freunde, die auf diese Weise Piazzolla & Co. noch ein Stück näher kommen konnten oder vielleicht zum ersten Mal begegneten (Text/Foto: Guballa).

Kammermusikalische Sternstunden
Trio Adorno beendet Winterkonzert-Saison

Mit jugendlicher Frische und großer Spielfreudigkeit begeisterten Violinist Christoph Callies, Cellist Samuel Selle und Pianist Lion Hinnrichs am Sonntag die Liebhaber feinster Kammermusik beim letzten Konzert der winterlichen Museumskonzerte der Brahms-Gesellschaft.

Trio AdornoDas in Hamburg beheimatete junge Trio Adorno trägt zwar den Namen des ebenso berühmten wie umstrittenen Philosophen und Musiktheoretikers, ließ aber in seinem lebendig gestalteten Konzert schnell alle Theorie vergessen. 2003 im Rahmen des Wettbewerbs „Jugend musiziert” gegründet und vielfach mit Preisen und Sonderpreisen ausgezeichnet hatten die drei Musikstudenten ein Programm zusammengestellt, das an jeden einzelnen außerordentliche Anforderungen stellt.
Den Anfang machte das vordergründig überschwängliche, von Untiefen durchsetzte Klaviertrio B-Dur (KV 502) von Mozart, das die jungen Instrumentalisten mit viel Verve und überschäumender Spielfreude zu Gehör brachten. Der Dialog von Klavier und Streichern erinnert an ein reifes Klavierkonzert und besticht durch die Balance zwischen Solistengeste und kammermusikalischer Feinarbeit. Mit Eleganz, Ausdrucksfülle und Beseeltheit stellten die Stipendiaten des „Deutschen Musikwettbewerbs 2013“ ihre Virtuosität unter Beweis und bescherten dem begeisterten Publikum auf der ausverkauften Museumsinsel Lüttenheid die erste musikalische Sternstunde.

In eine ganz andere musikalische Welt entführten die drei Musiker bei P?teris Vasks’ achtsätzigen „Episodi e Canto perpetuo“, die der lettische Komponist 1985 als Hommage an Olivier Messiaen geschrieben hat. Ein über die Sätze hinweg angelegter, auf Dynamik, Klanggebung und Stilistik bezogener Spannungsbogen bestimmt das Stück. Sensibel arbeiteten die Musiker die Klangvielfalt heraus, vom fast meditativen Piano im 1. Satz (Crescendo), über ätherische Klänge (Misterioso) zu hochexpressiven Momenten mit fast jazzigen Anklängen. Nicht zuletzt durch das Abdecken von Saiten des Flügels und das Einbeziehen perkussiver Elemente am Cello schöpft Vasks hier einen großen Klangreichtum aus – ein düsteres, aufwühlendes Stück Musik, das von Enttäuschung, Liebesleid und Trauer über unsere bedrohte Welt singt. Wo immer seine Musik gespielt wird, stellt sich ein vergleichbares Phänomen ein: Sein Werk wird als Höhepunkt des Abends empfunden, für viele überraschend, die kaum positive Erwartungen gegenüber Musik aus unserer Zeit haben. Insbesondere wenn es so kraftvoll und intensiv wie vom Trio Adorno interpretiert wird. Unbestechlich auch die Homogenität ihres Spiels in Brahms Klaviertrio Nr. 2 C-Dur op. 87. Das vielschichtige Werk strotzt nur so von Kraft, Erfindungsreichtum und Charakter. Und genau so spielten auch die Mittzwanziger: mit verschwenderischer Klangfülle, zugleich stets das Ganze im Blick. Mühelos wechseln die Musiker zwischen großer Innigkeit und Expressivität, perlenden Läufen und zupackenden Akkordfolgen. Das Publikum zeigte sich begeistert und ließ die Musiker nicht ohne Zugabe gehen. Auch im Allegro von Mozarts Klaviertrio d-Moll KV 442, dessen Fragmente nach Mozarts Tod von einem Schüler wesentlich ergänzt wurden, bewies das Trio, dass noch viel von ihm in der Kammermusikwelt zu erwarten ist. (Text/Foto: Andreas Guballa)

Musikalische Glanzleistung
Pianistin Shin-Heae Kang verzaubert das Publikum

Sie sieht nicht so aus. Und ihr Name hört sich nicht so an. Aber sie ist eine echte Norddeutsche – die Pianistin Shin-Heae Kang. Die als Tochter koreanischer Eltern geborene Kielerin verzauberte am Sonntagnachmittag – am Tag ihres 28. Geburtstags – das begeisterte Publikum beim lange ausverkauften Museumskonzert der Brahms-Gesellschaft auf der Museumsinsel Lüttenheid.

Shin-Heae KangDer Ruf ihrer pianistischen Hochbegabung war Shin-Heae Kang offenbar vorausgeeilt, denn Besucher aus ganz Schleswig-Holstein waren nach Heide gekommen, um sie zu erleben. Bereits 2009 war die Gewinnerin zahlreicher Musikpreise zu Gast im Brahms-Haus, verbindet sie doch eine besondere Beziehung zu dem Komponisten mit Dithmarscher Wurzeln. 2010 beendete Kang ihr Studium mit einer Arbeit über die dritte Klaviersonate von Johannes Brahms mit Bestnote und Auszeichnung.

Shin-Heae Kangs musikalische Karriere begann bereits mit zwei Jahren, als sie die koreanischen Lieder ihrer Mutter auf dem Klavier nach Gehör nachspielte. Ein Jahr später erhielt sie ihren ersten Klavierunterricht. Im Alter von sechs Jahren wurde sie als jüngste Vorstudentin überhaupt an der Musikhochschule Lübeck aufgenommen. Danach studierte sie bis zu ihrem Abschluss vor fünf Jahren in Hannover weiter. 2011 wurde die große Pianistin Martha Argerich auf sie aufmerksam und fördert seitdem ihre Karriere.

Für ihr Heider Konzert hatte die Künstlerin ein technisch und künstlerisch hoch-anspruchsvolles Programm ausgewählt. Mit Werken von Scarlatti, Schubert, Chopin, Liszt und Brahms schlug sie einen großen Bogen durch die Klavier-Literatur und entführte die Zuhörer in eine Welt klassischer Poesie voller Klangfarben, wie man sie selten zu hören bekommt.

Faszinierend ist vor allem die gestalterische Bandbreite, die die Pianistin beherrscht. Kraftvoll zupackend, aber auch zart und zurückhaltend – schier unbegrenzt ist die Vielfalt der Darstellung. Das wurde schon deutlich bei der 25-minütigen „Wanderer-Fantasie“ von Franz Schubert. Ein nachdenkliches Adagio, ein heiter-aufgelockertes Presto, das fast tänzerisch erklang, aber auch kräftige Passagen darbot, führten zum emotional aufgewühlten Final-Allegro mit pompösem Schluss. Leicht und gefühlvoll hingegen war ihr Anschlag bei Scarlattis kurzer Sonata. Fast zärtlich schien sie bei Chopins „Nocturne“ die Tasten zu berühren, um dann beim virtuosen „Scherzo“ umso kräftiger die dramatischen Momente zu betonen.
Mit den „Paganini-Variationen“ von Brahms setzte Kang ihr Programm nach der Pause fort. Auch dieses Werk spielte sie in atemberaubender Technik und verstand es, den musikalischen Charakter selbst in schwierigsten Passagen herauszuarbeiten. Die Kielerin zeigte einen Komponisten, den wir aus dem Blickfeld verloren haben, nämlich Brahms, den Klaviervirtuosen mit seiner kauzigen Lust an pianistischen Kabinettstückchen und humorigen Verzerrungen.

Das Werk von Franz Liszt ist dem breiten Publikum weitestgehend bekannt. Und doch gibt es in seinem Oeuvre auch seltener gehörte Stücke. Wie seine „Rhapsodie espagnole“. Das schwer zu spielende Klavierstück, das auf sehr charmante Weise in eine spanisch-folkloristische Klangwelt entführt, erfuhr – wie zuvor die „Widmung“ – eine makellose Wiedergabe durch Shin-Heae Kang. Am Ende gab es Blumen, auch aus dem Publikum, ein Geburtstags-Ständchen und einen lang anhaltenden Beifall, der zu einem weiteren Chopin-Nocturne als Zugabe führte. (Text/Foto: Andreas Guballa)

Ein Abend musikalischer Gegensätze

Die Sängerin Neele Kramer, der Cellist Jonas Palm und der Pianist Philipp Heiß boten beim Adventskonzert der Brahms-Gesellschaft ein kontrastreiches Programm zwischen Romantik und Avantgarde.

Jonas Palm, Neele Kramer und Philipp Heiß (v.l.)Normalerweise ist das deutsche Kunstlied ein Sorgenkind für Konzertveranstalter. Für die Lieder der Romantik ist es oft schwer, ein größeres Publikum zu gewinnen – zumindest wenn kein bekannter Star auf dem Programm steht. Immerhin gehört das Genre zur anspruchsvollsten Gattung der Musikliteratur. Und so ist es der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein wieder einmal hoch anzurechnen, beim diesjährigen Adventskonzert dem begabten Nachwuchs eine Chancen zu bieten. Die Sängerin Neele Kramer, der Cellist Jonas Palm und der Pianist Philipp Heiß wurden im Frühjahr von der strengen Jury des Deutschen Musikrates zum Trio auserkoren und gastieren seit dem Sommer mit einem kontrastreichen Programm in ganz Deutschland, das die innigen Lieder von Schumann und Brahms mit Märchenvertonungen von Janacek, avantgardistischen Stimmgemälden von Frank und den Cabaret Songs von Britten zusammenbringt. Auf der gut besuchten Museumsinsel Lüttenheid fanden die drei jungen Künstler dafür ein aufmerksames Publikum. Der erste Konzertteil widmete sich ganz der Blütezeit des Kunstliedes, dem 19. Jahrhundert. Mit ihrem hellen, klaren Mezzosopran ist Neele Kramer die ideale Besetzung für den Liedgesang. Sowohl in der substanzvollen Balance mit Klavier und Cello in den „zwei Gesängen op. 91“ von Brahms als auch im Duo mit Philipp Heiß in einer Auswahl von Liedern aus Schumanns „Myrthen op. 25“ gelang es der Sopranistin mit ihren beiden Partnern, den subtilen Wechsel zwischen drängender Dramatik und selig-romantischer Melodik herauszuarbeiten. Auch die eingängigen und melodiösen Kostbarkeiten in Schumanns „fünf Stücken im Volkston op. 102 für Cello und Klavier“ erklangen in aller Klarheit und Prägnanz. Das Duospiel von Jonas Palm und Philipp Heiß vermittelte enorme Sicherheit und Vertrautheit im musikalischen Austausch und in der künstlerischen Dynamik.

Nach der Pause widmeten sich Palm und Heiß einer Komposition von Leos Janacek: „Pohádka“ (Märchen), eine musikalische Erzählung im Stile Tschaikowskys, in der beide Solisten sowohl die romantischen Passagen als auch die leidenschaftlichen Sätze mit ausgeprägter dynamischer Differenzierung interpretierten. Einen faszinierenden Einblick in die zeitgenössische Musik gelang dem Trio anschließend mit dem Auftragswerk „Art Brut VI“, einer Rekursion über Schuberts „An den Mond“ des 27jährigen Nürnberger Komponisten Andreas Eduardo Frank: ein farbenreicher Bilderbogen mit hier flirrenden, dort tänzelnden Figuren der kurz anklingenden Cellostimme und ungewöhnlichen Verschränkungen mit gezupften Klaviersaiten, während der Text zum Teil in ein Megafon gesungen wurde.

Mit Brittens reizvoll neckenden „Cabaret Songs“ über die Spielarten der Liebe und Previns gospelartigen „Songs für Gesang, Cello und Klavier“ beendete das Trio den Ausflug in die avantgardistische Musik und ihren eindrucksvollen Abend der musikalischen Gegensätze. (Text/Foto: Andreas Guballa)

Facettenreiches Spiel mit jugendlichem Esprit
Das Aris Streich-Quartett beherrscht die pure Lust am Musizieren

Mit Konzerten an ungewöhnlichen Orten will die Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein neue Zielgruppen erschließen und verstärkt Kinder und Jugendliche für klassische Musik begeistern. Aus diesem Grund gab es am Sonntag nicht nur das gewohnte Museumskonzert am Nachmittag, sondern anschließend noch ein Überraschungskonzert im Bistro „Marktpirat“.

Aris Streichquartett Mit dem Aris Quartett hatten die Veranstalter genau die richtigen Protagonisten gefunden. Das bereits mehrfach international ausgezeichnete Ensemble bewies zunächst auf der ausverkauften Museumsinsel Lüttenheid eindrucksvoll, warum die Gattung Streichquartett von der Wiener Klassik bis in die heutige Zeit als Königsdisziplin der Kammermusik gilt. Schon ins Beethovens kompaktem „Quartetto serioso“ op. 95 fanden Anna Katharina Wildermuth (Violine), Noémi Zipperling (Violine), Caspar Vinzens (Viola) und Lukas Sieber (Violoncello) einen überzeugenden Zugang und interpretierten die Gedanken und Motive in einem präzisen, farbenreichen Klangbild.

Der zweite Programmpunkt war einem zeitgenössischen Werk gewidmet, das „Officium breve“ op. 28 des 1926 geborenen ungarischen Komponisten György Kurtág. Dank einer kurzen Werkeinführung konnte Kurtágs Meisterschaft der kleinen Form, der atemberaubenden Beziehungen zwischen nur wenigen Tönen zum Gedenken an den verstorbenen Komponisten-Kollegen Endre Szervánszky vom Publikum plastisch nachvollzogen werden.

Voll ausspielen konnte sich das Ensemble nach der Pause bei dem 30-minütigen Streichquartett Nr. 4 e-Moll op.44/2 von Felix Mendelssohn, ein schon zur Zeit seiner Entstehung vom Publikum hoch geschätztes Werk und das erklärte Lieblingsstück der Musiker. Ganz „con passione“ gespielt von Anfang bis Ende, mit Hingabe und ungezügelter Lust entfaltete sich Quartett-Klang wie aus einem Guss.

Mit anhaltendem Applaus erklatschte sich das Auditorium als Zugabe den ersten Satz aus dem a-moll Quartett von Brahms, das das vor kurzem als eines der überzeugensten Newcomer-Formationen prämierte Ensemble mit sicherem Verständnis für die komplexe motivische Arbeit des Komponisten mit Dithmarscher Wurzeln interpretierte. Spätestens in diesem Moment stellte sich mancher Zuhörer die Frage, wohin sich die vier noch jungen Musiker entwickeln werden, wenn sie schon jetzt eine solche Perfektion an den Tag legen.

Dass das Aris Quartett die pure Lust am Musizieren beherrscht, bewiesen die talentierten Studenten der Frankfurter Aris StreichquartettMusikhochschule auch im anschließenden Überraschungskonzert im „Marktpirat“, für das ausschließlich über soziale Netzwerke geworben worden war. „Die Idee ist, dass wir zu den Leuten gehen und nicht darauf warten, dass sie zu uns kommen,“ so der neue Vorsitzende der Brahms-Gesellschaft, Joachim Nerger.
„So ein Konzert bietet eine größere Direktheit zum Publikum.“ Mit jugendlichem Esprit boten die vier Musiker noch einmal ein facettenreiches Spiel mit Mendelssohn, Bizet und Piazolla zwischen Bier und Burger. Dem Publikum gefiel’s:„Glückwunsch zu diesem entspannten Setting!“, „Crossover der Stile – absolut gelungen!“ und „Unbedingt wiederholen“ waren nur einige der begeisterten Reaktionen. (Foto/Text: Andreas Guballa)

Jugendliche Frische und Leidenschaft
Kontrastreicher Saisonstart der Museumskonzerte

Besser hätte der Auftakt der Winterkonzertsaison nicht gelingen können. Die Brahms-Gesellschaft präsentierte am Sonntag auf der Museumsinsel Lüttenheid mit der Violinistin Friederike Jahn und dem Pianisten Asen Tanchev ein Duo, das jugendliche Frische und Leidenschaft mit Virtuosität und Spielfreunde paarte. In ihrem ausverkauften Konzert präsentierten sie ein kontrastreiches Programm, das die Hörgewohnheiten des Publikums herausforderte.

Duo Tanchev-Jahn Die 25jährige Dresdnerin Friederike Jahn und der 22jährige gebürtige Bulgare Asen Tanchev lernten sich 2010 bei einem Kammermusikfestival in den Niederlanden kennen und konzertieren seit drei Jahren als festes Duo regelmäßig im In- und Ausland. In den Jahren ihres Zusammenspiels haben sie eine bis ins kleinste Detail aufeinander abgestimmte Musizierweise entwickelt, die ihrem Konzert auf der ausverkauften Museumsinsel Lüttenheid sehr entgegenkam. Schon in Ludwig van Beethovens „Sonate Es-Dur op. 12 Nr. 3“ agierten beide Interpreten äußerst synchron. Jugendliche Frische im Eingangssatz, Eleganz und Grazie im bekannten Adagio und eine ungehinderte Musizierfreude im schnellen Rondo entsprachen ganz dem Inhalt des reinen Notentextes. Jeder ließ dem anderen seinen interpretatorischen Freiraum, um gemeinsam einen engen, musikalischen Klavier-Violinen-Dialog zu entwickeln. Deutlich arbeiteten die Musiker die kantablen Seitenthemen heraus und steigerten sich zu einem virtuosen Schlagabtausch in rasenden Läufen und galanter Ausführung.

Wie perfekt aufeinander abgestimmt die beiden Master-Studenten an der Musikhochschule Hannover sind, zeigte sich auch bei der dramatischen „Sonate f-Moll op. 80 Nr. 1“ von Sergej Prokofjew, die unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges in den Jahren 1938 bis 1946 entstanden ist und immer wieder bearbeitet wurde. Mit gewagter Harmonik und Dissonanzen bringt Prokofjew seine Hörer bis an die äußersten Grenzen der Tonalität. Souverän und in perfektem Zusammenspiel brachten die beiden jungen Künstler die Musik voller bohrender Rhythmen und wilder Motorik zum Leben und vermittelten ihren Zuhörern den Eindruck brutaler kriegerischer Zusammenstöße. In dem vom Komponisten selbst mit „Wie über einen Kirchhof streichender Wind“ betitelten Stück schuf das Duo durch die Intensität und Leidenschaft ein dramatisches, musikalisches Bild des eisigen Frösteln Prokofjews, das die Hörgewohnheiten des Publikums herausforderte.

Für den zweiten Konzertteil hatten die beiden Musiker die „Sonate A-Dur op. 13 Nr. 1” von Gabriel Fauré gewählt, ein Stück voll von emotionalen Klangfarben, erfüllt mit Poesie und Wärme. Der Komponist spickt die Ecksätze mit anspruchsvollen geigerischen Delikatessen, hält das Klavier als quasi orchestrale Begleitung in steter Bewegung. Im Andante schwingt sich die Violine aus düsterem Moll chromatisch aufsteigend in schwindelerregende Höhen, während das Scherzo beiden Interpreten enorme technische Fähigkeiten abverlangt. Das Finale fordert nochmals romantische Höhenflüge, was Friederike Jahn und Asen Tanchev mühelos und mit großer Spielfreude bewältigten. Das begeisterte Publikum war sich einig: so ein inniges miteinander Musizieren wie bei diesem jungen Duo erlebt man nur selten.
(Foto/Text Andreas Guballa)

Klassik auf die Club-Art
Neue Führungsspitze der Brahms-Gesellschaft setzt auf den Nachwuchs

Anja Piening und Joachim NergerJoachim Nerger und Anja Piening will verstärkt Kinder und Jugendliche für klassische Musik begeistern. Vorurteile über klassische Musik gibt es einige – langweilig, sagen manche. Langatmig und schwerfällig, sagen andere. „Ich glaube, dass Menschen, die wenig mit klassischer Musik zu tun haben, sich eine zu enggestrickte Vorstellung von dieser Art Musik machen“, sagt Anja Piening, die neue Geschäftsführerin der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein.

Genau damit wollen Joachim Nerger, der neue Vorsitzende der Brahms-Gesellschaft, und sie bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufräumen. „Ansätze dafür haben wir schon in den Köpfen“, sagt Nerger, der in Hamburg eine Künstler-Agentur für Musiker der Klassik betreibt. Wie im Jazz- und Pop-Bereich wollen sie künftig Club-Konzerte anbieten. „Diese Konzerte bieten eine größere Direktheit zum Publikum“, so der 60-Jährige.

Dafür sind Piening, die bereits für die Plattenfirmen Universal Music und Warner Music arbeitete, und er momentan auf der Suche nach geeigneten Veranstaltungsorten. „Die Idee ist, dass wir zu den Leuten gehen und nicht darauf warten, dass sie zu uns kommen“, sagt die 36-jährige Anja Piening. Wenn es sich anbiete, würden sie mit diesem Konzept auch über die Stadtgrenzen hinaus gehen. Und noch etwas soll bei den Club-Konzerten anders sein, als bei den üblichen Veranstaltungen der Gesellschaft: „Vielleicht macht man das auch mal zu einer ungewöhnlichen Zeit, und nicht um 18 oder 20 Uhr“, so Nerger. Die Auftritte sollen dann auch kürzer sein als ein üblicher Konzertabend.

Doch nicht nur die jungen Erwachsenen will die neue Führungsriege der Brahms-Gesellschaft für die klassische Musik gewinnen. Geplant sind auch Familien- und Kinderkonzerte. Die Idee dahinter: „Viele Eltern gehen zum Beispiel Sonntags nicht in ein Konzert, weil sie die Zeit lieber mit ihren Kindern verbringen“, sagt Piening, die selbst Mutter ist. Mit einem speziell auf Familien zugeschnittenen Programm kann man sowohl den Nachwuchs als auch die klassisch-interessierten Eltern zu den Auftritten locken.

An den Museumskonzerten im Herbst und Winter wird jedoch nicht gerüttelt. Dort soll alles beim alten bleiben. Ein anderer Wind soll es hingegen bei den Brahms-Wochen geben. „Wir wollen die Möglichkeit nutzen, auch ausländische Musiker wenigstens zu den Brahms-Wochen zu holen“, sagt Nerger. „Es gibt von Land zu Land immer einen anderen Blickwinkel.“
So hätten französische Musiker ein ganz anderes Verständnis für Brahms als hierzulande und deutsche Musiker ein anderes für Debussy als ihre Kollegen aus Frankreich. Vor diesem Hintergrund verspricht sich Joachim Nerger auch neue Eindrücke für das Publikum. Und auch im Brahms-Haus soll es im kommenden Jahr vorwärts gehen. „Schon unsere Vorgänger haben sich mit einer Neuausrichtung des Museums beschäftigt“, so Nerger. Momentan laufen Gespräche, wie die konkret aussehen könnte. Im Gespräch sind unter anderem eine andere Präsentation der vorhandenen Ausstellungsstücke, zum Beispiel mit Audio-Führungen – eine weitere frische Brise in dem Konzept der beiden. (Text/Foto: Dana Müller)

Feuer der Begeisterung für die Musik
Professor Eckart Besch mit der Verdienstmedaille der Stadt Heide ausgezeichnet

Thomas Quasthoff, Anne-Sophie Mutter und Thomanerchor Leipzig – ohne den Vorsitzenden der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein mit Sitz in Heide, Professor Eckart Besch, wären diese und andere Künstler von Weltformat nie nach Dithmarschen gekommen, ist sich Bürgermeister Ulf Stecher sicher. Dem heute 82jährigen sei es gelungen, die Stadt Heide immer wieder zu einem Ort von musikalischen Darbietungen auf höchstem künstlerischen Niveau zu machen. Für sein künstlerisches Engagement und seine außerordentlichen Verdienste wurde Eckart Besch nun mit der Verdienstmedaille der Stadt Heide ausgezeichnet.

„Eckart Besch hat ein Feuer der Begeisterung für die klassische Musik in unsere Stadt und Region getragen, welche unsere Gesellschaft kulturell reicher macht“, so Bürgermeister Ulf Stecher in seiner Laudatio. „Durch sein engagiertes niveauvolles Wirken hat er sich bleibende Verdienste um unsere Heimatstadt Heide erworben.“ Besch und der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein sei es zu verdanken, dass Heide heute selbstbewusst mit seinem kulturellen Erbe umgehe und in den vergangenen Jahren für weltbekannte Musikerinnen und Musiker zum vertrauten Terrain geworden sei, so Stecher weiter. Daneben habe sich das Brahms-Haus in Heide neben der Kieler Forschungsstelle der Johannes Brahms Gesamtausgabe an der Christian-Albrechts-Universität und dem Lübecker Brahms-Institut zu einem international anerkannten Zentrum der Brahms-Pflege entwickelt.

Dem damaligen Bürgermeister Jan Christian Erps ist es zu verdanken, den Pianisten und ehemaligen Hochschullehrer Besch in schwierigen Zeiten 1996 für den Vorsitz der Gesellschaft zu gewinnen. Mit ihm begann eine Ära, in der die Gesellschaft sehr rasch und anhaltend über nahezu zwei Jahrzehnte ihre stabile, glänzende Erscheinung erreichte, die man heute mit ihrem Namen verbindet. „Sie wurden niemals müde, den Bezug des großen Meisters Johannes Brahms zu seinem Stammhaus in Lüttenheid zu verkünden und dabei die Nähe zur benachbarten Klaus-Groth-Gesellschaft zu suchen“, begründete Stecher die Auszeichnung. Stechers Dank galt aber nicht nur dem Preisträger selbst. Seine Arbeit könne Eckart Besch nur deshalb so gut machen, weil ihm mit Elisabeth Piening eine tatkräftige Frau in der Geschäftsführung und seit langem auch in der gemeinsamen Lebensgestaltung zur Seite stehe. Dass Besch Dithmarschen so lange treu geblieben ist, habe sie wohl erst möglich gemacht. „Die Auszeichnung ist eine große Ehre für mich und die Brahms-Gesellschaft“ bedankte sich Besch und ergänzte gewohnt verschmitzt: „…und Freude bereitet sie mir auch“. Nach 18 erfolgreichen Jahren übergibt Besch den Vorsitz der Brahms-Gesellschaft an den Hamburger Musikwissenschaftler und Konzertveranstalter Joachim Nerger. Auch für Elisabeth Piening endet nach zwei Jahrzehnten die Arbeit als Geschäftsführerin. Ihre Nachfolge tritt die Medienkauffrau Anja Wirrwa an.

In perfektem Gleichgewicht
Die Brüder Benjamin und Johannes Moser wurden am Sonnabend in Heide mit dem mit 10 000 Euro dotierten Brahms-Preis 2014 ausgezeichnet.

Wenn ein langjähriger Weltstar und zwei junge Musiker auf dem Sprung zur Weltkarriere gemeinsam in Heide auftreten, kann das nur bedeuten: es ist Brahms-Preisverleihung. Am Sonnabend wurden der Cellist Johannes Moser (35) und sein Bruder, der Pianist Benjamin Moser (33), mit der renommierten Auszeichnung der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein geehrt.

Brahmspreisverleihung 2014Die Laudatio hielt die Tante der Preisträger, Kammersängerin Edda Moser. Der weltberühmte Opernstar machte deutlich, dass die Musik den Brüdern in die Wiege gelegt wurde: die Eltern sind Musiker, der Großvater war ein bekannter Musikwissenschaftler und der Urgroßvater künstlerisch und menschlich mit dem Komponisten Johannes Brahms befreundet. „Das größte Vergnügen meines Vaters bestand darin als kleiner Bub auf den Knien von Johannes Brahms geschaukelt zu werden,“ erinnerte sich die Sopranistin an sonntägliche Erzählungen aus ihrer Kindheit. „Nun tragt die Fackel weiter“ gab sie ihren Neffen, die auf den Konzertpodien dieser Welt zuhause sind, mit auf den Weg. Für die Musiker ist Johannes Brahms ein wichtiger Wegbegleiter ihrer bisherigen Laufbahn. Beide versicherten: „Der Brahms-Preis verpflichtet, sich der Auszeichnung würdig zu erweisen und weiter in den Brahms’schen Musikkosmos einzusteigen.“

In ihren Grußworten lobte Kulturministerin Anke Spoorendonk das wertvolle kulturelle Engagement der Brahms-Gesellschaft. Die Beschäftigung mit Johannes Brahms habe in Schleswig-Holstein eine gewisse Tradition, sie sei aus Sicht der Landesregierung hoch erfreulich und notwendig. „Brahms‘ Werke faszinieren noch heute, sie animieren zu Spitzenleistungen und geben auch den Preisträgern dieses Jahres eine würdige Aura“, so die Ministerin. Bereits im Vorfeld hatte Bürgermeister Ulf Stecher im Namen der Stadt Heide den Preisträgern und der Brahms-Gesellschaft zu ihrer ausgezeichneten Arbeit gratuliert: „Wir sind stolz, dass die heutige Verleihung des Brahms-Preises an zwei international renommierte Musiker ganz in der Nähe des historischen Stammhauses der Familie Brahms stattfindet.“ „Spitzen ihrer Zünfte“ nannte Vorsitzender Eckart Besch die Preisträger, die zwischen den Kontinenten pendeln und die Erfahrungen gewonnener Wettbewerbe in aller Welt für das Publikum in hinreißende Konzerterlebnisse verwandeln.

Dass sie würdig sind, sich in die hochkarätige Reihe der Brahms-Preisträger einzureihen, bewiesen Benjamin undJohannes und Benjamin Moser Johannes Moser dann in der sonnendurchfluteten Atmosphäre von Heides „gläsernem Konzertsaal“ im Pavillon der Nord-Ostsee-Automobile. Obwohl die beiden Brüder bisher kaum zusammen musiziert haben, wirkte das Miteinander beider Ausnahmekünstler vertraut und harmonisch, was sich in perfektem Gleichgewicht niederschlug. Schon bei den einleitenden Interpretationen von Beethovens „Variationen über das Thema ,Bei Männern, welche Liebe fühlen‘“ und den Brahms-Liedern konnte man feststellen, dass sich die Brüder blendend verstehen und zu einer gemeinsamen Sprache gefunden haben. Obwohl beide renommierte Solisten mit großartigen Fähigkeiten sind, ging es ihnen nicht darum, sich selbst in den Vordergrund zu spielen.

Wie gut das Duo in Phrasierung und Ausdruck harmoniert, zeigte sich abschließend in Brahms‘ Sonate Nr. 1 e-Moll. In der Art wie die Beiden miteinander musizierten und aufeinander hörten, wurde die gemeinsame musikalische DNA spürbar. So viel ausgewogene Duokunst bedachte das Publikum mit begeistertem Beifall und erklatschte sich zwei Zugaben für den lauen Mitsommerabend. (Text/Fotos: Guballa)

Stehende Ovationen für den Maestro
Gefeiertes Jubiläums- und Geburtstagskonzert mit Justus Frantz und der Philharmonie der Nationen

Er darf sich Maestro nennen, und so wird Justus Frantz auch empfangen. Wenn der Stardirigent und Pianist nach Heide kommt, ist das Publikum begeistert.

Justus Frantz mit Solist Rodion Zamuruev und der Philharmonie der Nationen. Foto GuballaSeit Musik-Impresario Justus Frantz vor knapp 20 Jahren die Philharmonie der Nationen gründete, feiert er Welterfolge mit dem Gedanken von Völkerverständigung und Weltfrieden unter dem Motto „Let’s make music as friends“. Für diese Idee wurde der Hamburger Weltbürger 1994 mit dem Brahms-Preis der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein ausgezeichnet. Zum 20jährigen Jubiläum der Preisverleihung kam der Stardirigent im Rahmen der Brahms-Wochen 2014 am Freitag – zwei Tage vor seinem 70. Geburtstag – ins Heider Tivoli. Neben seiner Philharmonie der Nationen hatte er für den Solopart in Mendelssohns Violinkonzert e-moll op 64 den russischen Geiger Rodion Zamuruev mitgebracht. Die rasanten Passagen, die virtuosen Kadenzen, mit erregtem Flattern, mit Doppelgriffen und rasenden Läufen, die in die höchsten Klangbereiche des Instruments führen, bewältigt der 45-jährige Oistrach-Stipendiat der Rostropowitsch-Stiftung mit Bravour.
Die Philharmonie begleitet souverän. Da passt jeder Ton, jeder Einsatz, die Ausgewogenheit zwischen Solist und Orchester ist perfekt. Immer wieder ist da Zwiegespräch zwischen dem Solisten und „Klangfeldern“ aus dem Orchester: Klarinetten, Hörner, Flöte. Und immer wieder der Wechsel zwischen tänzerisch-schwungvoll und lyrisch, ehe Fanfarenstöße den Schlussspurt einleiten und die Solovioline einen hochvirtuosen Tanz intoniert, spritzig, prickelnd. Das Publikum rast vor Begeisterung.
Schon zuvor hatten die 52 Musiker aus allen Teilen der Welt in den „Haydn Variationen“ atmosphärisch dicht und kammermusikalisch transparent Brahms‘ weitgespannten Interpretationsbogen über den Choral St. Antoni zum Klingen gebracht.
In Beethovens 7. Sinfonie setzt Justus Frantz auf Kontraste und Konturen, die den seelischen Auftrag des Werkes unterstreichen. Beethoven befand sich zur Zeit ihrer Entstehung auf der Höhe seines Ruhms, allerdings verschlechterte sich gleichzeitig auch sein Gehör dramatisch. Nach Abstimmungsproblemen in der Hauptprobe am Nachmittag folgt das Orchester nun dem kleinsten Fingerzeig des Mannes am Pult und agiert auf luxuriösem musikalischem Niveau: in präziser Diktion, sensibel in nahtlosem Miteinander. Lupenreines Blech, homogene Streicher, überlegt, strukturiert, in vibrierender Vitalität.
Stehende Ovationen für den Maestro und seine jungen Musiker, die sich mit zwei Ungarischen Tänzen von Johannes Brahms bei den gut 500 Zuschauern bedanken. (Text/Foto: Guballa)

Ein unvergleichbarer Hörgenuss
Kammermusik mit Teufelsgeiger und Wunderhorn

Das Horn-Trio Breuninger – Mahni – Duis begeistert bei den Brahms-Wochen mit klangschöner Kammermusik des 19. Jahrhunderts

Warum Johannes Brahms im Mai 1865 in Baden-Baden ausgerechnet ein Trio für Violine, Waldhorn und Klavier komponierte, ist bis heute ungeklärt. Die Besetzung war bis dahin nicht existent, und erst 1982 hat György Ligeti ihr ein Schwesterwerk mit dem Titel „Hommage à Brahms“ an die Seite gestellt. Die einschlägige Brahms-Forschung vermutet, das Werk verdanke seine Entstehung einem eher außermusikalischen biographischen Anlass: Im Februar 1865 war in Hamburg die Mutter des Komponisten mit Dithmarscher Wurzeln verstorben und dies, so die Biographen, habe den 32-jährigen an das erste Lieblingsinstrument seiner Kindheit und Jugend erinnert: das Waldhorn. Bis heute gehört sein Opus 40 zu den klangschönsten und berührendsten Kammermusiken des 19. Jahrhunderts. Insbesondere wenn es von drei Persönlichkeiten der Musikszene dargeboten wird, wie es bei den Solisten der Brahms-Wochen 2014 am Sonntag auf der Museumsinsel Lüttenheid der Fall war. Sibylle Mahni (Horn), Laurent A. Breuninger (Violine) und Thomas Duis (Klavier) widmen sich mit großem Engagement der Kammermusik und sind auch international als Solisten gefragt. Die Ausdruckskraft jedes einzelnen, wie auch das harmonische Zusammenspiel des Trios ist außerordentlich und bietet einen unvergleichbaren Hörgenuss.

Laurent A. Breuninger verfügt über einen flexiblen runden Geigenton, der sich in Brahms‘ langsamen Satz voll und blühend entfalten und neben dem Ton des Horns bestehen kann. Die schwedische Hornistin Sibylle Mahni konnte mit warmem Hornklang, strömender Musikalität und schwelgerischer Emphase entzücken, getragen vom romantischen Klavierklang Thomas Duis‘. Der genauen Abstimmung des Ensembles ist die gemeinsame Konzertpraxis anzumerken, so auch beim emotional tiefgründig interpretierten Adagio. Das vitale Allegro-Finale mit dem ungestüm galoppierenden Rhythmus markierte einen starken Abschluss.
Vor der Pause hatten die Künstler bereits in Duobesetzung ihre Meisterschaft bewiesen. Mit präziser, gleichwohl geschmeidiger Artikulation und reichen Klangschattierungen vermittelte Sibylle Mahni zusammen mit ihrem Klavierpartner Thomas Duis in Beethovens noch ganz der Naturtonmelodik und ihren Jagdmotiven verhafteter Sonate F-Dur ein äußerst lebendiges Bild ihres Wunderhorns.
Diesem Jugendwerk Beethovens stellten Laurent A. Breuninger und Thomas Duis in der berühmten A Dur Sonate ein Meisterwerk des reifen und gefestigten Komponisten César Franck gegenüber, das die Zuhörer durch ein großartiges Miteinander sofort mitnahm. Breuninger spielte auswendig, und das mit Feuer, Einfühlung und herrlicher Tongebung. Der Teufelsgeiger bestach mit Virtuosität, einer außerordentlichen Brillanz und perfekter Bogentechnik, die man bei manchem Geigenvirtuosen vergeblich sucht. Ihm zu Seite musizierte Duis in großer Sensibilität mit einem herrlich farbigen und variablen Anschlag bei müheloser Technik. Solopassagen kostete er blühend aus, und wie bei seinem Partner sind Läufe glitzernd, schimmernd, perlend. So viel ausgewogene Triokunst bedachte das Publikum der ausverkauften Soiree mit begeistertem Beifall und erklatschte sich mit Charles Koechlins zweitem Satz der „Quatre Petites Piecès“ ein romantisch-hauchzartes Musikstück für die laune Frühsommer-Nacht. (Text/Foto: Guballa)

Hohe Kunst des Volksliedes
Bariton Christoph von Weitzel gastiert im Brahmshaus

Volkslieder und das erlauchte „Konzert-Wohnzimmer“ im Brahmshaus, – passt das überhaupt zusammen? Aber sicher doch, und zwar ganz hervorragend! Insbesondere, wenn so hochkarätige Musiker wie der Sänger Christoph von Weitzel und Ulrich Pakusch am Klavier hinzukommen. Die Eintrittskarten für ihr Konzert waren binnen kurzer Zeit ausverkauft.

„Es ist uns ein tiefes Bedürfnis, während unserer Brahms-Wochen nicht nur elitäre Kammermusik anzubieten. Auch in dieser Hinsicht verwalten wir das Erbe von Johannes Brahms, der sich dem wertvollen Kulturgut der Volkslieder eng verbunden fühlte und sogar selbst einige volkstümliche Weisen komponiert hat“, sagt der langjährige Vorsitzende der Brahms-Gesellschaft, Professor Eckart Besch.
Dass Volkslieder-Texte einen tiefen Sinn haben können, führte Christoph von Weitzel durch seine intensive Interpretation vor Augen. Vertraute Lieder wie „Im schönsten Wiesengrunde“ oder „Der Lindenbaum“ klangen jetzt völlig neu. Das Kinderliedchen „Das bucklige Männlein“ wurde zu einer geheimnisvollen, aufregende Geschichte, und die locker-leichte Weise „Es hat ein Bauer ein schönes Weib“ kam wie eine spannungsgeladene Ballade daher. Einen völlig neuen, jetzt gar nicht mehr so schönen Sinn bekam das Heimatlied „Am Brunnen vor dem Tore“: „Bei eingehender Beschäftigung mit dem Text kam ich zu dem Schluss, dass hier nicht nur die Sehnsucht nach der Heimat, sondern auch nach dem Tod beschrieben wird“, so der Künstler.
Der dramaturgische Bogen seines Liederabends spannte sich vom Morgen bis zur Nacht, von der Kindheit bis zum Tod, vom Frühling bis zum Winter. Das begeisterte, meist ältere Publikum genoss den warmen, kraftvollen Bariton, ließ sich von der leidenschaftlichen Interpretation berühren und sang zwischendurch auch kräftig und textsicher mit. So auch Gottfried und Erna Wilhelm aus Erfde, die sich gegenseitig die Eintrittskarten zu ihrem 55. Hochzeitstag geschenkt hatten. „Das sind alles Lieder, die wir kennen und lieben. Viele davon haben wir auch selbst gesungen, – entweder im Chor oder zu Hause mit den Kindern“, freuten sie sich über den „wunderbaren und großartigen“ Vortrag, der erst nach zwei Zugaben beendet war.
Am Ende der Veranstaltung nahmen die Konzertgäste gern das Angebot wahr, den Abend in Anwesenheit der Künstler bei Wein und Gebäck ausklingen zu lassen. (Text/Foto Gaby Schütz)

Reibungsloser Übergang
Mitgliederversammlung der Brahms-Gesellschaft stellt Weichen für die Zukunft

Joachim Nerger und Anja Wirrwa übernehmen im August als Vorsitzender und Geschäftsführerin die Geschicke der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein. Das entschied am Freitag die Mitgliederversammlung mit überzeugender Mehrheit.

„Die Brahms-Gesellschaft ist gut aufgestellt und für die Zukunft gerüstet“ so das Fazit von Heinz-Dieter Schmidt, der für den erkrankten Schatzmeister Prof. Dr. Hans-Jürgen Block den Kassenbericht vortrug. Guten Gewissens kann daher Professor Eckart Besch den Vorsitz nach 18 Jahren im Sommer in jüngere Hände abgeben. Zumal mit Joachim Nerger ein idealer Nachfolger gefunden wurde, der einen reibungslosen Übergang garantiert. Der 59jährige Hamburger ist Inhaber eines Konzertbüros und kennt sich als langjähriger Künstlervermittler in der Klassikszene bestens aus. „Unter anderem habe ich ein Konzert für Justus Frantz und die polnische Kammerphilharmonie im Heider Tivoli organisiert“ stellte sich der studierte Ethnologe und Musikwissenschaftler den Mitgliedern vor. Er freue sich auf die neue Herausforderung und wolle das langjährige Erbe Beschs mit neuen Akzenten fortführen, denn „wer in große Fußstapfen tritt, hinterlässt keine eigenen Spuren.“ Nerger zur Seite wird zukünftig Anja Wirrwa als Geschäftsführerin stehen, denn auch Elisabeth Piening gibt diesen Posten nach zwei Jahrzehnten erfolgreicher Arbeit ab. Die gebürtige Dithmarscherin ist gelernte Medienkauffrau und hat lange Jahre in internationalen Musikverlagen gearbeitet. Familiäre Gründe führten die Mutter zweier Söhne vor kurzem zurück nach Oesterwurth. „Ich freue mich, mein Know How und meine Erfahrungen in der Musikbranche in die Brahms-Gesellschaft einbringen zu können“ so die 35jährige.

Eckart Besch unterstrich, wie schwierig es war, geeignete Fachleute zu finden, die sich der besonderen Anstrengung stellen, Kulturarbeit mit überregionaler Ausstrahlung auf dem platten Land zu gestalten. „Mit diesen beiden haben wir die Weichen für die Zukunft gestellt.“ Er freue sich, zukünftig die Früchte seiner langjährigen Arbeit entspannt als Zuschauer genießen zu können.

Professor Dr. Wolfgang Sandberger würdigte als stellvertretender Vorsitzender der Brahms-Gesellschaft und Leiter des Lübecker Brahms-Instituts die langjährige, erfolgreiche Arbeit des grandiosen ‚Pas de deux‘ Besch/Piening, deren Wirken weit über Heide und die Region hinaus gewirkt habe. Auch Landrat Dr. Jörn Klimant bedankte sich bei dem ‚Dreamteam‘ für deren Beitrag zur Kulturlandschaft Dithmarschens und wünschte dem neuen Führungsduo eine glückliche Hand. (Text/Foto: Andreas Guballa)

Musikgenuss hoch drei
Das Klarinettentrio Van Wauwe – Drescher – Gollej eröffnet die diesjährigen Brahms-Wochen

International, virtuos und äußerst erfolgreich präsentierte sich das Trio Van Wauwe – Drescher – Gollej zum Auftakt der diesjährigen Brahms-Wochen der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein: Alle drei Musikerinnen, die belgische, deutsch-koreanische und kasachische Wurzeln haben, vereint die Liebe zur Kammermusik, eine hochkarätige Ausbildung bei prominenten Lehrern sowie eine rege internationale Konzerttätigkeit.

Klarinettentrio Van Wauwe-Drescher-GollejEs ist kaum zu glauben, dass Anneline Van Wauwe (Klarinette), Simone Drescher (Cello) und Olga Gollej (Klavier) erst seit dem vergangenen Sommer zusammen musizieren – ganz zeitgemäß als Klarinettentrio gecastet vom Deutschen Musikrat – , denn einem solchen Gleichklang dreier Interpreten begegnet man nur selten. Sie scheinen nicht nur eins mit der Musik zu werden, sie verschmelzen – auch hinsichtlich des Ausschöpfens der klanglichen Möglichkeiten ihrer Instrumente – zu einem einzigen Klangkörper. Das mag zum einen daran liegen, dass das romantische Repertoire des Abends zu den bedeutsamsten und meistgespielten kammermusikalischen Werken für diese Instrumente gehört; zum anderen gehören die drei Romanzen von Schumann, die Sonate von Mendelssohn-Bartholdy und das Klarinettentrio von Brahms zu den „innig geliebten“ Stücken der jungen Musikerinnen.

Sehr schlüssig war das Programm konzipiert, das zunächst in Duobesetzung den gefühlvoll märchenhaften Seiten romantischer Klarinettenmusik gewidmet war. In den Schumann-Romanzen überzeugten die einfühlsame Wiedergabe und das ausgewogene Zusammenspiel. Anneline Van Wauwe spielte mit lebendigem Atem und seelenvoller Dynamik von Olga Gollej am Flügel mit feiner Anschlagskultur begleitet. Wilder und stürmischer stellte sich anschließend die junge Cellistin Simone Drescher mit der Sonate Nr. 2 D-Dur op. 58 für Violoncello und Klavier von Mendelssohn Bartholdy vor. Auch hier erlebte man wieder die wechselnde Führung der Instrumente – rasche Stimmungswechsel, expressives Forte und empfindsames Piano lagen eng beieinander.
In Brahms‘ Spätwerk, dem Klarinettentrio a-Moll op.114, konnten die drei Musikerinnen nach der Pause dann die durchgehend handwerklichen Qualitäten unter Beweis stellen, über die sie verfügen. Dem Trio gelang auf eindrückliche Weise die Herstellung einer spannungsgeladenen Stille. Immer wieder brachen die Instrumente aus der scheinbar ruhigen Atmosphäre aus. Hier gab es kein eindeutiges Soloinstrument, sondern drei kontrastierende Klangkörper, die sich vielschichtig ineinander weben.
Für den begeisterten Beifall bedankte sich das Trio abschließend mit dem 2. Satz des freundlich-heiteren Klarinettentrios von Carl Frühling aus dem Wiener Salon. (Text/Foto: Guballa)

Kammermusikabend mit außergewöhnlichem Programm
Das Rin Trio begeistert beim Abschlusskonzert der diesjährigen Museumskonzertsaison
Lesen Sie mehr über den Abend in der Dithmarscher Landeszeitung.

Musikalische Einstimmung auf Weihnachten

Es gibt Hunderte von weltlichen und geistlichen Weihnachtsliedern. Bei vielen kann man die Melodien mitsummen oder kennt die erste Strophe. Eine Auswahl der schönsten A Cappella Werke zwischen Renaissance und Romantik für diese Jahreszeit – oft in unbekanntem Arrangements – präsentierte das Ensemble Compagnia Vocale Hamburg mit ihrem Dirigenten Hans-Jürgen Wulf beim Adventskonzert der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein in der festlich geschmückten Museumsinsel Lüttenheid.

Document made with KompoZerDas Programm „Die lieben alten Weihnachtslieder“ sei eine Herzensangelegenheit von ihm gewesen, so der Vorsitzende Professor Eckart Besch bei der Begrüßung. Als junger Sänger des Leipziger Thomanerchores habe er selbst viele der Lieder und Motetten in der Adventszeit zur Aufführung gebracht. Und auch Johannes Brahms sei u.a. als Leiter des Wiener Singvereins von Komponisten wie Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach beeinflusst worden.

Die Reise durch die musikalische Jahrhunderte begann mit Andreas Hammerschmidts Vertonung über die Worte des 24. Psalms „Machet die Tore weit“ und stimmte die Zuhörer am dritten Adventssonntag auf das rund einstündige besinnliche und abwechslungsreiche Weihnachtskonzert mit kirchlichen, aber auch englischen und traditionellen Kompositionen ein. Zahlreiche Komponisten haben im Laufe der Zeit das berühmte „Es ist ein Ros entsprungen“ interpretiert – auf die verschiedensten Weisen. Eine kleine Auswahl von drei Versionen gab es auch im Rahmen des festlichen Adventskonzert zu bestaunen. Der mit 25 Stimmen besetzte Chor sang die dichten und ausdrucksstarken Kompositionen in stimmlicher Geschlossenheit. Wulf inspirierte seinen Chor mit dezenter Gestik zu fein nuancierter klanglicher Gestaltung: kraftvoll, doch ohne Forcieren im Forte, leuchtend auch im Piano, flexibel und mit klarer Diktion. Allerdings offenbarte die staubtrockene Akustik der Museumsinsel auch gnadenlos ehrlich jede Schwäche bei Intonation und Modulation. Das Publikum ließ sich einfangen von den bekannten, eingängigen Stücken wie „Es ist für uns eine Zeit angekommen“, „Was soll das bedeuten“ und „Ich steh an deiner Krippe hier“, die den Weihnachtsfunken überspringen ließen. Mit der Weihnachtshymne von Mendelssohn Bartholdy sowie der gemeinsam mit dem Publikum gesungenen ersten Strophe von „Es ist ein Ros entsprungen“ entließ das Ensemble die Zuhörer in bester vorweihnachtlicher Stimmung in den leider noch wenig winterlichen Dezemberabend. (Text/Foto: Guballa)

Kammermusikalische Glanzlichter

Zwei junge, hochmusikalische Ausnahmetalente im Duo vereint: der 22jährige Geiger Tobias Feldmann und der 28jährige Pianist Boris Kusnezow. Beim Museumskonzert der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein setzten sie am Sonntag auf Lüttenheid mit einem Programm voller Pathos, Leidenschaft und Energie kammermusikalische Glanzlichter.

Tobias Feldmann und Boris KusnezowDie beiden Gewinner des Deutschen Musikwettbewerbs und Stipendiaten der Studienstiftung des deutschen Volkes musizieren erst seit gut zwei Jahren zusammen, doch einem solch‘ emotionalen Gleichklang zweier Interpreten begegnet man nur selten. Sie scheinen nicht nur eins mit der Musik zu werden, sie verschmelzen – auch hinsichtlich des Ausschöpfens der klanglichen Möglichkeiten ihrer Instrumente – zu einem gemeinsamen Klangkörper.
Schon in Ludwig van Beethovens Sonate Nr. 7 c-Moll agierten beide Interpreten äußerst synchron. Sie schmückten den Klang mit Farbe und Elastizität, sorgten für strukturelle Geschlossenheit der Komposition, arbeiteten widerstreitende Kräfte heraus und brachten sie gleichzeitig immer wieder in eine Balance.
Ungemein farbig präsentierte das Duo Claude Debussys Sonate g-Moll. Flageolett-Spitzentöne kontrastierten im Violinpart mit tief sonoren Lagen, begleitet von einem Pianisten, der mit seiner Interpretation des Werkes an Glockenklänge erinnerte. Dabei beeindruckte die Virtuosität beider Künstler, die das impressionistische Geflirre gewissermaßen mit intellektueller „Coolness“ bewältigten.
Mit ihrem dritten Stück, der Sonate in Es-Dur op.18 von Richard Strauss, setzten die beiden jungen Musiker dem Kammermusikabend einen fulminanten Schlusspunkt. Das wohl bedeutendste Kammermusikwerk des Romantik-Komponisten ist mit seiner überschäumenden Fantasie, thematischen Fülle und Farbigkeit eine beträchtliche Herausforderung für die jungen Interpreten. Großartig bewältigte Tobias Feldmann auf ’seiner‘ Stradivari von 1703, die er von der Stiftung Deutsches Musikleben für 10 Jahre als Leihgabe erhalten hat, den schwierigen Violinpart. Er brachte sowohl das Klangsinnliche, die geschmeidige Eleganz, die irisierende Klangfarblichkeit als auch die rauschend virtuosen Passagen glänzend zur Wirkung. Glühend intensiv wirkte sein Spiel, dramatisch aufgebaut in den Steigerungen. Nicht minder faszinierend klang Boris Kusnezows Klavierpart in dieser Strauss-Sonate. Der Deutsch-Russe, der seine Kindheit in Dithmarschen verbrachte und erste musikalische Erfolge an der Dithmarscher Musikschule feierte, erwies sich als manuell blendender, sehr differenziert spielender Pianist, der die glitzernden, sehr bewegten Passagen mit aller Klarheit, Brillanz und Klangfarbengespür auf die Tasten legte. Das Publikum in der seit langem ausverkauften Museumsinsel – darunter Kusnezows damalige Klavierlehrerin Annegret Frick und Musikschullehrer Richard Ferret – zeigte sich höchst beeindruckt von diesem Duospiel. Für den langanhaltenden Beifall bedankte sich das hochmusikalische Duo mit einem schwärmerisch-melancholischen Liebesgruß: Edward Elgars Miniatur „Salut d’Amour“.

Vollkommene brüderliche Harmonie
Gelungener Auftakt der Museumskonzerte-Saison der Brahms-Gesellschaft

Ob es hinter den Kulissen genauso harmonisch zugeht wie auf der Bühne, wollten sie nicht verraten; doch beim Konzert der Brüder Wassily und Nicolai Gerassimez konnte das begeisterte Publikum am Sonntag ein perfektes Zusammenspiel der beiden Künstler erleben. Ein gelungener Auftakt der Museumskonzerte-Saison 2013-2014 der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein in Zusammenarbeit mit der Museumsinsel Lüttenheid.

Duo GerassimezVier Duo-Kompositionen bildeten das Programm, die Brüder blieben also durchweg unzertrennlich in diesem Konzert, der Ablauf wurde nicht durch solistische Interpretationen unterbrochen. Schnell wurde klar, dass ein derartig homogenes, nahezu intuitives Zusammenspiel zweier Künstler ein ganz enges künstlerisches aber auch persönliches Verhältnis voraussetzt. Schon seit ihrer frühen Kindheit musizieren die Brüder zusammen. Als Duo wie auch solistisch gewannen sie zahlreiche nationale und internationale Wettbewerbe.
Nach den vitaltänzerischen “Variationen über ein Thema von Rossini” des eher unbekannten Tschechen Bohuslav Martinu schien Schostakowitschs d-moll-Sonate dem Duo Gerassimez in den Genen zu stecken. Das Werk des russischen Komponisten meisterten der 22jährige Cellist und sein 28jähriger Bruder am Piano mit Spielfreude, Virtuosität und individueller Ausdruckskraft.
Ludwig van Beethovens Sonate Nr. 3 A-Dur bot den beiden Brüdern nach der Pause die Gelegenheit zu einem mitreißenden Wiedereinstieg ins Programm. Noch einmal zeigte sich, wie frei sich das Geschwisterduo in allen musikalischen Dimensionen bewegen kann. Die beiden Künstler spielten sich die musikalischen Bälle perfekt zu, sodass sich Klavier und Cello zu einer klanghaften Einheit verwoben.
Großen Tango erlebten die Zuhörer bei dem vierten Stück der Brüder. Tänzerisch, rhythmisch akzentuiert, von spielerisch leicht bis dramatisch – so präsentierten sie das Stück von Astor Piazzolla. Und man spürte die Begeisterung, mit der die beiden Brüder auf höchstem Niveau musizierten, ohne die individuellen interpretatorischen Freiheiten des einzelnen zu beschneiden. Nach reichlich Beifall gab es eine ganz besondere Zugabe: Die Eigenkomposition “Transition”, auf deutsch “Wandel”, von Wassily Gerassimez erkläre sich von selbst, so der Komponist. Stark an Jazz und klassischem Blues orientiert, hob das Werk die Grenzen zwischen den Instrumenten auf und verwandelte den Cellisten zum Solisten am Klavier und umgekehrt, forderte jeden der Brüder als Perkussionisten oder vereinte beide vierhändig an die Tastatur des Flügels.