Festliches Erlebnis großer Tastenkunst

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Mit einem kraftvollen Finale enden die Brahms-Wochen 2013 in Heides gläsernem Konzertsaal

Wenn alljährlich bei Nord-Ostsee Automobile in Heide die Luxusschlitten aus der lichtdurchfluteten Ausstellungshalle geräumt werden und Platz für die Musik machen, dann heißt es wieder: „Herzlich Willkommen im gläsernen Konzertsaal zur Sommer-Klaviernacht der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein.“

Gewidmet sind die musikalischen Sommerfeste, die mit zwei langen Pausen auch den Gesprächen und dem Genuss von kulinarischen Gaumenfreuden Raum geben, der großen Klaviermusik und ihren Interpreten: Mit David Theodor Schmidt, Elena Fischer-Dieskau und Ian Fountain war es dem Vorsitzenden Professor Eckart Besch wieder gelungen, drei Künstler aus der gegenwärtigen Weltspitze zu verpflichten, die das Publikum mit ihrem facettenreichen Spiel und einem vielfältigen Programm in Begeisterung versetzten.

Seine Reife, glänzende Technik und Vielfalt pianistischer Ausdrucksmöglichkeiten bewies David Theodor Schmidt bereits zu Beginn des Konzertmarathons mit Franz Liszts machtvoller Klaviertranskription „Präludium und Fuge über Bach“. Das wirbelte, rauschte, explodierte, dass man zeitweilig den Eindruck hatte, der Solist müsse wohl jeweils vier Hände und Füße besitzen, um diesen unwiderstehlichen Mahlstrom in Gang zu setzen, der die Hörer unaufhaltsam in seinen Bann zog. Auch bei den 1854 von Johannes Brahms komponierten „Balladen Opus 10“ ist der 31jährige ganz in seinem Element und kostete den Reichtum an Farben und Emotionen genüsslich aus. Er hat sich tief in die Seele des jugendlichen Stürmers und Drängers hinein versenkt, der sich seine Erinnerungen an den Besuch bei den Schumanns von der Seele schrieb. Den Bogen schloss der Preisträger und Stipendiat bedeutender Organisationen mit Schumanns „Sonate für Klavier g-Moll op. 22“, die der Komponist 1838 seiner zukünftigen Frau Clara zusandte und die dramatisches Drängen mit Momenten verzückter Zartheit vereint. In Schmidts Interpretation klebte nirgendwo zu dick aufgetragenes Gefühl die Noten zusammen, vielmehr durchwehte eine erquickliche Herzensfrische die Sonate, der Erlanger spielte absolut natürlich: Alles ist durchdacht, minutiös analysiert und wunderbar poetisch gespielt.

Elena Fischer-DieskauAuch Elena Fischer-Dieskau, die Enkelin des Brahms-Preisträgers 1998 und Sängers Dietrich Fischer-Dieskau, hatte mit einer Auswahl aus „16 Walzern op. 39“ ihren Brahms im Gepäck. Das breite dynamische Spektrum wurde quer durch die kurzen Walzer so sorgfältig ausgeleuchtet wie die charakterliche Differenziertheit, in der sie zueinander stehen. Dann ließ die zierliche 25jährige den Flügel mit Sergej Prokojews „Sonate für Klavier op. 83“ erbeben. Die siebte Sonate genießt unter Pianisten den höchsten Ruf in technischer und inhaltlicher Hinsicht. Komponiert 1942 in den Wirren des Zweiten Weltkrieges stürzt die Sonate den Zuhörer in die bedrohliche Atmosphäre einer Welt, die das Gleichgewicht verloren hat. So begann Fischer-Dieskau den ersten Satz auch wild entschlossen und verlor sich dann lyrisch in ferne Traumwelten, um umso barbarisch virtuoser zurückzukehren. Unbarmherzig spritzig legte sie das Finale des Satzes hin. Die wunderschönen, getragenen Melodiebögen des zweiten Satzes entwickelte die Pianistin wie aus dem Augenblick heraus, als würde sie die Musik improvisieren. Liszts „Liebestraum“ bot dem gebannt lauschenden Publikum dann einen Moment des Atemholens.

Ian FountainNoch einen Schritt näher heran an die Kunst des intensiven Zuhörens führte Ian Fountain. Dank der Videoprojektionen auf zwei Leinwände konnte das Publikum nicht nur hören, sondern fasziniert auch dabei zuschauen, wie der 42jährige Solist das kraftvolle Finale des Abends einläutete. Virtuose Akkord-Figurationen setzten in seiner Interpretation von Brahms „Vier Klavierstücken op. 119“ magische Glanzpunkte. Johannes Brahms‘ letztes Werk für Klavier solo umfassen auf kurzem Raum noch einmal das ganze Ausdrucksspektrum seiner Klaviermusik: Sehnsüchtiges und Fröhliches, Graziöses und Pompöses, Heiteres und tief Trauriges. Fountain gestaltete das Spätwerk des Komponisten mit Dithmarscher Wurzeln geistvoll abgeklärt und traf den Sinn mit jeder einzelnen Note. So nah hat man Brahms in Tönen schon lange nicht mehr erlebt. Mit Beethovens berühmter Klaviersonate „Appassionata“ stellte der Brite dann noch einmal seine Meisterschaft des Abends unter Beweis. Das romantische Charakterstück gilt als Inbegriff expressiver solistischer Virtuosität und wird von wahren Beethoven-Kennern gleichmaßen geliebt wie gefürchtet. Auf dem Höhepunkt seiner kompositorischen Fähigkeiten hat Beethoven buchstäblich technisch alle Register gezogen. Mit hinreißender Technik, formal klar und transparent, dabei immer wieder eigene Akzente setzend meisterte Ian Fountain souverän das Standardwerk seiner Zunft. Selten hat man einen Pianisten gesehen, dessen Hände und Finger so schwindelerregend virtuos, so kraftvoll dynamisch, so spielerisch locker über die Tasten fliegen. „Da könnte ich ewig zuhören!“ flüsterte ein Zuhörer. Bravorufe und lang anhaltender Applaus belohnten den Interpreten für diese großartige Leistung und beendeten ein festliches Erlebnis großer Tastenkunst. (Text/Fotos: Guballa)