Ein Künstler von Weltrang
Startseite // Ein Künstler von WeltrangChristoph Eschenbach bekommt Brahms-Preis 2016
Christoph Eschenbach. Foto Eric BrissaudEr ist ein Ausnahmekünstler: Vom internationalen Pianisten-Star stieg Christoph Eschenbach zum weltweit gefragten Dirigenten auf. Am liebsten würde er auch mit 100 dirigieren, so Eschenbach anlässlich seines 75. Geburtstages im letzten Jahr. Am 12. Mai wird er in Wesselburen mit dem Brahms-Preis 2016 der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein ausgezeichnet. „Er ist ein Preisträger von Weltrang“ freut sich dessen Vorsitzender Joachim Nerger. Als Ausdrucksmusiker par excellence schaffe er es wie nur wenige andere, die Musik mit Emotion aufzuladen und den Meisterwerken ein zutiefst menschliches Gesicht zu geben. Andreas Guballa hat Christoph Eschenbach getroffen.
Herr Eschenbach, wie wichtig ist Brahms in Ihrem Leben als Dirigent und Pianist?
Ungeheuer wichtig. Er ist einer meiner Lieblingskomponisten, auch auf dem Klavier. Ich habe seine Sonaten, viele der Intermezzi und Klavierkonzerte gespielt – insofern ist Brahms die Nummer Eins bei mir.
Was sind die besonderen Herausforderungen bei seinen Kompositionen?
Jedes Werk verfolgt eine eigene Dramaturgie, aber alle sind sie extrem dicht durchgearbeitet und strukturell komplex. Brahms war sehr selbstkritisch und hat zahllose Werke vernichtet, wenn sie seinem hohen Anspruch nicht genügten. Von dieser hohen Komplexität darf das Publikum allerdings nicht viel spüren, denn Brahms‘ Musik ist gleichermaßen voller Leidenschaft und Emotion: gewissermaßen Kopf und Seele zugleich. Diese große Form muss man als Dirigent und Solist beherrschen können. Man muss ausloten, wo man sich Freiheiten erlauben darf und wo weniger. Insofern bietet Johannes Brahms ungeheure Schwierigkeiten, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Ich habe das mein Leben lang getan und unglaubliche Freude daran gehabt. Noch heute entdecke ich neue Sachen.
Hört man bei seinen Werken heraus, dass er ein „norddeutscher Jung“ ist?
(lacht) Irgendwie vielleicht. Aber er hat sehr früh in seinem Leben durch einen Freund, dem Geiger Eduard Remenyi, die Volksmusik der Ungarn kennengelernt. Das Land hat in fasziniert und daher gibt es diese unglaublich starken folkloristischen Elemente in seiner Musik.
Am 12. Mai wird Ihnen der Brahms-Preis 2016 verliehen. Wie wichtig sind Ihnen Preise im allgemeinen und dieser insbesondere?
Wenn man ausgezeichnet wird, ist jeder Preis wichtig. Aber ich habe mich sehr gefreut, dass ich ausgerechnet den Brahms-Preis erhalte, weil Brahms eine so wichtige Rolle in meinem Leben spielt und weil die Auszeichnung in Schleswig-Holstein stattfindet, meiner zweiten Heimat. Ich fühle mich geehrt und gerührt.
Sie haben Ihre Laufbahn als Pianist begonnen. Hat das Ihre Pultkarriere beeinflusst? Oder würden Sie heute anders dirigieren, wenn Sie nicht als Pianist angefangen hätten?
Drehen wir die Frage mal um. Ich habe immer versucht, auf dem Klavier Orchester zu spielen und es singen zu lassen. Man sollte nicht hören, dass es eigentlich nur aus Stahlsaiten und einem Holzgerüst besteht. Insofern bin ich früh in die Subtilitäten der Instrumentation eingedrungen. So hat sich beides verschmolzen. Aber ich spiele seit über 30 Jahren keine Klavierabende mehr, weil ich keine Zeit habe, mir neues solistisches Repertoire anzueigen. Auch wenn ich hier und da eine Ausnahme mache, sind das fünf Prozent meiner Tätigkeit.
Zurück zum Dirigenten Christoph Eschenbach. Sie haben sechs Jahre lang das NDR Sinfonieorchester geleitet und übernahmen 2010 die künstlerische Leitung des National Symphony Orchestra in Washington. Gibt es Unterschiede in der Orchester-Klangkultur jenseits und diesseits des Atlantiks.
Früher sagte man, dass die amerikanischen Orchester sehr brillant seien, aber kühl. Und die europäischen Klangkörper wärmer spielten, aber dafür nicht so präzise. Das hat sich sehr gewandelt durch die vielen Orchestertourneen. Insofern ist es ein Spaß mit beiden zu musizieren.
Seit 2004 leiten Sie die Orchesterakademie des SHMF. Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit jungen Musikern?
Es ist eine wunderbare Sache, dass junge Musiker aus 30 Nationen zusammenkommen und innerhalb von ein paar Tagen schon miteinander harmonieren. Egal aus was für Schmieden und Ländern sie kommen oder welche Mentalitäten sie haben. Nach wenigen Tagen sind sie ein musikalischer Körper geworden und gehen mit einem unglaublichen Enthusiasmus und großer Frische an den Start. Das macht einen Riesenspaß.
Es gibt immer wieder musikalische Perlen, die Sie entdeckt haben wie Lang Lang. Nach Wesselburen kommen Sie mit Christopher Park, ein „Pianist wie ein Paukenschlag“ wie die Presse schreibt. Was schätzen Sie an ihm?
Ich schätze seine technische Souveränität und unglaubliche musikalische Reife. Er musiziert von innen heraus und zeigt keine oberflächlichen Kunststücke, auch wenn die Händel-Variationen von Brahms ein sehr schweres Stück ist. Es fasziniert mich, wie er Brahms genauso selbstverständlich spielt wie Mozart und neue Musik.
Was muss ein Künstler mitbringen, dass Sie sich als Mentor für ihn einsetzen?
Musikalische Tiefe, Brillianz und ein Charisma, das ein Publikum begeistert. Christopher Park hat das.
Sie können auf eine langjährige Karriere zurückblicken. Was sind für Sie unvergessliche Momente?
George Sell und Herbert von Karajan waren große Mentoren zu Beginn meiner Pianisten-Karriere. Ich durfte mit ihnen arbeiten und sie um Rat fragen. Und sie haben mir wertvolle Ratschläge gegeben.
Sie haben im letzten Jahr Ihren 75. Geburstag gefeiert. Ist Alter ein Thema für Sie?
Alter wird dann nicht mehr zum Thema, wenn man sich der Musik hingibt. Musik hält einen jung und lässt einen das Alter vergessen. Das ist die beste Medizin.
Gibt es noch Pläne und Herausforderungen, die Sie in den nächsten Jahren angehen wollen?
Ich mache sehr viel neue Musik und zahlreiche Uraufführungen mit meinem Orchester in Washington. Die neue Musik bleibt eine große Komponente in meinem Leben. Darüber hinaus gibt es einige Komponisten, zu denen ich spät gekommen bin, aber deren Tür sich sehr weit geöffnet hat in den letzten Jahren wie Schostakowich und Sibelius. Gerade im Repertoire des 20. Jahrhunderts ist noch einiges offen.