Die brennende Fackel der Begeisterung weitergeben

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Brahms-Preis 2015 an Thomas Hengelbrock

Der Dirigent Thomas Hengelbrock wird mit dem diesjährigen Brahms-Preis ausgezeichnet und damit unter anderem für sein besonderes Engagement für die Ausbildung junger Musiker geehrt.

Thomas HengelbrockMit seinem Einfallsreichtum, seiner musikwissenschaftlichen Entdeckerlust und seiner kompromisslosen Art des Musizierens zählt Thomas Hengelbrock zu den gefragtesten Dirigenten unserer Zeit. Unkonventionell, überraschend und vielfältig sind die Konzertprogramme und Opernprojekte, die er seit zwei Jahrzehnten mit seinem Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble und seit 2011 als Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters gestaltet. Am 4. Mai wird der 54jährige im Elbeforum Brunsbüttel mit dem Brahms-Preis der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein ausgezeichnet. „Mit Thomas Hengelbrock haben wir einen großen Künstler und offenen Geist zum Preisträger 2015 erkoren, der mit unverbrauchtem Blick auf die Musikgeschichte auch dem Publikum neue Perspektiven ermöglicht“ freut sich Joachim Nerger, Vorsitzender der Brahms-Gesellschaft, die alljährlich seit 1988 aus der Schenkung von Konsul Karl Uwe Böttcher den mit 10.000 Euro dotierten Preis verleiht. Beim Preisträgerkonzert mit dem NDR Jugendsinfonieorchester erklingen Dvo?áks „8. Sinfonie“ sowie Brahms‘ „Streichsextett op. 36“. Die Laudation hält der Schauspieler Klaus-Maria Brandauer. Andreas Guballa hat mit Thomas Hengelbrock gesprochen.

Herr Hengelbrock, was bedeutet Ihnen die Auszeichnung mit dem Brahms-Preis?

Der Brahms-Preis ist ja verbunden mit meinem Engagement für das Jugendsinfonie-Orchester. Ich freue mich, dass diese Arbeit mit der ’nächsten Generation‘ dadurch gewürdigt wird. Die Akademie erfüllt eine Brückenfunktion und führt herausragend begabte Jugendliche und Musikstudenten zusammen, die unter Anleitung von professionellen Musikern auf höchstem Niveau versuchen, die Situation des Berufslebens vorwegzunehmen. Dadurch, dass die Musiker zusammenspielen und auch im Konzert die Möglichkeit haben, mit den alten Hasen zusammenzuarbeiten, ergibt sich ein ganz neuer Einblick.

Wie sehen Sie Ihre Aufgabe als Musiker heutzutage?

Ich glaube, die Aufgaben eines Dirigenten haben sich im Laufe der letzten 20 bis 30 Jahre gewandelt; das Spektrum ist breiter geworden. Die Essenz des Berufes ist es, dass man gute Musik macht, ein Orchester und einen Chor führen kann und mit großer Ausstrahlung ein Publikum erreicht. Aber in Zeiten, in denen die Entwicklung der klassischen Musik vielerlei Gefährdungen ausgesetzt ist, ist es darüber hinaus wichtig, sich auch aktiv auf einer kulturpolitischen Ebene zu engagieren und sich für seine Ensembles und Musiker stark zu machen. Auf der einen Seite muss man dafür sorgen, dass die Kürzungsorgien irgendwann ein Ende haben; auf der anderen Seite muss man sich dafür einsetzen, dass klassische Musik auch in breite Teile der Bevölkerung getragen wird und Menschen aus bildungsfernen Schichten Zugang zu klassischer Musik bekommen. Darüber hinaus ist es eine schöne Aufgabe, Musik auch zu vermitteln und Menschen, die die Nase nicht den ganzen Tag in der Partitur haben, zu zeigen, worum es da eigentlich geht: Was ist das Tolle, Lebensbereichernde und Spannende in der klassischen Musik? So versuche ich auf möglichst vielen Feldern für die Sache zu streiten.

Das haben Sie sehr eindrücklich im letzten Herbst mit dem „Dvo?ák-Experiment“ gezeigt, bei dem sich mehr als 22.000 Schüler aus ganz Deutschland beteiligt haben. Ist das der richtige Weg, um langfristig dem Silbersee im Konzertpublikum entgegenzuwirken?

Das ist nur einer von ganz vielen Parametern. Auch in der Akademie Balthasar Neumann setze ich mich dafür ein, dass jedes neue Projekt mit Schulen vernetzt wird. Es ist wichtig, diese Berührungsängste abzubauen. Wir schaffen Musikerlebnisse, die verdeutlichen, welche – auch sozial verbindende – Kraft das gemeinsame Musizieren hat. In einer Zeit, in der sehr viele zentrifugale Kräfte wirken, ist es wichtig, dass die Musik einen Mittelpunkt bildet, um den sich die Menschen zu einer Gemeinschaft formieren können.

Zur Verleihung des Brahms-Preises kommen Sie am 4. Mai mit dem Jugendsinfonie-Orchester nach Brunsbüttel. Was ist das besondere an diesem Klangkörper und der Arbeit mit ihm?

Dort spielen herausragende Schüler und einige Musikstudenten im Alter von 14 bis 24 Jahren zusammen – ergänzt durch Akademisten des NDR Sinfonieorchesters. Ziel des Orchesters ist es, sie komplementär und ergänzend zu der Arbeit in ihren Schulorchestern ein bis zwei Mal im Jahr in kurzen Arbeitsphasen mit professionellen Musikern und Arbeitsweisen zusammenzuführen. Dabei werden Hemmschwellen abgebaut und es besteht die Gelegenheit mit renommierten Dirigenten zusammenzuarbeiten. Die Vorbereitung leisten meine Konzertmeister und Soloinstrumentalisten. Das ist ein sehr stimulierender Impuls. Mir vermitteln Lehrer von Schülerorchestern, dass das für ihre Arbeit eine sehr starke Motivation ist. Wenn ich durch meinen Einsatz die oft mühsame Arbeit von Musiklehrern ergänzen kann, finde ich das toll.

Kommt es Ihnen dabei eher auf die Vermittlung von Disziplin, Ehrgeiz und Perfektion an oder mehr auf Spaß und Begeisterung?

Wer mich kennt, weiß, dass das eine eher hypothetische Frage ist. Natürlich muss das technische Niveau stimmen. Dabei ist es selbstverständlich, dass das Zusammenspiel technisch sauber und konzentriert sein muss. Auch den Weg zu weisen, wie man dahin kommt, ist wichtig. Das geht nur mit Enthusiasmus und Leidenschaft. Diese brennende Fackel der Begeisterung weiterzugeben, ist ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit.

Zum Preisträgerkonzert kommen Sie mit Dvo?áks 8. Sinfonie nach Brunsbüttel…

Ich wollte zu diesem Anlass keine sperrige, für die Musiker sehr schwierige Brahms-Sinfonie aufführen. Die Sinfonie von Dvo?ák ist ein herrliches Stück, das wir extra zu diesem Anlass einstudieren, und bei dem alle Instrumentengruppen genug Futter haben. Dvo?ák ist ein Komponist, der nicht nur tolle Musik für ein Publikum geschrieben hat, sondern auch besonders herrliche Musik für Musiker. Das kann man nicht von jedem Komponisten sagen.

Die Laudatio hält Klaus Maria Brandauer, mit dem Sie in den letzten Jahren mehrere Projekte realisiert haben. Was schätzen Sie an ihm?

Es ist fantastisch, dass er zugesagt hat und damit zeigt, dass er mit seiner Präsenz diese Nachwuchsarbeit auch unterstützt. Wir arbeiten seit 1996 zusammen und er ist sowohl auf der Bühne als auch im Konzertsaal eine Ausnahmeerscheinung.

Herr Hengelbrock, vielen Dank für das Gespräch.

Infos:
Thomas Hengelbrock (*9. Juni 1958 in Wilhelmshaven) hat sich zunächst als Alte-Musik-Experte einen Namen gemacht. In den 80er-Jahren hat der ausgebildete Geiger Spezialensembles gegründet – bis heute leitet er den Balthasar-Neumann-Chor und das Balthasar-Neumann-Ensemble. Parallel dazu entwickelte der Fußball-Fan sein Profil als Dirigent weiter und überrascht immer wieder mit eigenem Zugriff auf Kompositionen. Seit 2011 ist Hengelbrock Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters und hat mit seinen Auftritten in Hamburg neue Maßstäbe im Konzertleben der Stadt gesetzt. Auf Tourneen durch Deutschland, Europa und Japan hat die Zusammenarbeit Hengelbrocks mit dem NDR Sinfonieorchester auch international ein großes Echo gefunden.

Das NDR Jugendsinfonieorchester wurde 2012 von der Akademie des NDR Sinfonieorchesters gegründet. Mit jährlich zwei Projekten bietet es begabten Nachwuchsmusikern die Möglichkeit, repräsentative Orchesterwerke professionell zu erarbeiten und unter der Leitung renommierter Dirigenten aufzuführen. Das NDR Jugendsinfonieorchester setzt sich aus den Akademisten des NDR Sinfonieorchesters, Studenten der norddeutschen Hochschulen, erfolgreichen Teilnehmern des Wettbewerbs „Jugend musiziert“ und ausgewählten Mitgliedern der führenden Jugendorchester Norddeutschlands zusammen. Die Stimmproben werden von Musikern des NDR Sinfonieorchester geleitet.