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Weltklassepianist Oliver Kern spielt bei der Klavier-Sommernacht
„Subtil und präzise, aber dennoch beseelt und temperamentvoll“ umschreibt die Süddeutsche Zeitung das Spiel von Oliver Kern. Das schien auch die Jury des ARD-Wettbewerbes zu überzeugen. Dem 2. Preis in München – ein erster wurde nicht vergeben – schloss sich der 1. Preis beim Internationalen Beethoven-Wettbewerb Wien an, den er als erster Deutscher überhaupt gewinnen konnte. Dies war ein weiterer Höhepunkt in der an Erfolgen nicht eben armen Karriere des heute 41jährigen: Mehr als ein Dutzend Mal reüssierte Kern bei internationalen Konkurrenzen und ist mittlerweile als Solist auf den Bühnen dieser Welt zuhause. Neben seiner Karriere als Pianist lehrt Oliver Kern seit 2008 an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg als Professor für Klavier.

Am 28. Mai spielt er zum Abschluss der Sommer-Klaviernacht der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein im Pavillion der Nord-Ostsee-Automobile in Heide. Ein Interview mit dem Pianisten über musikalische DNA und die Faszination für Johannes Brahms.

Herr Kern, gab es ein prägendes Erlebnis, das Sie zum Klavier spielen gebracht hat?

Mein Vater war Klavierlehrer und ich soll mich während des Unterrichts immer ins Zimmer geschlichen haben, um unterm Flügel wohlig einzuschlafen. So hat sich mein Interesse an der Musik wohl zum ersten Mal bemerkbar gemacht. Mit vier Jahren habe ich mich dann selbst an den Flügel gesetzt und auf dem heimischen Instrument spielen gelernt. Im Alter von sieben Jahren wurde ich zu Jugend musiziert geschickt, wo ich gleich einen ersten Preis gewonnen habe; und so hat sich das langsam weiterentwickelt.

Es gibt Fachleute, die vertreten die Meinung, jeder Musiker hat einen eigenen, unverwechselbaren Klang wie eine DNA. Wie würden Sie Ihren Klang beschreiben?

Das ist ein Klischee, das nur bis zu einem gewissen Grad stimmt. Ich mag eher einen dunklen, warmen Klang, was damit zu tun haben kann, dass ich Linkshänder bin. Daher bin ich auch absoluter Brahmsfan. Ich könnte mein ganzes Leben mit Brahms verbringen. Aber die Kunst ist es ja, diesen eigenen Klang jedem Komponisten anzupassen. Natürlich fühlt man sich aber bei bestimmten Komponisten besonders wohl. Bei mir sind das neben Brahms noch Beethoven und Schumann.

Johannes Brahms‘ Klavierkompositionen haben Sie mehrfach komplett auf Festivals aufgeführt. Was faszinatiert Sie an diesem Komponisten mit Dithmarscher Wurzeln?

Ich bin eigentlich durch Zufall auf ihn gestoßen. Auf Anhieb hat mich seine Musik gepackt und ich hatte sehr schnell einen Zugang dazu. Ich fühle mich bei der Beschäftigung mit Johannes Brahms einfach sehr wohl. Seine Klangwelt ist etwas, was mich wahnsinnig begeistert.

Entdecken Sie manchmal noch Neues an seinen Kompositionen?

Glücklicherweise jedes Mal. Man sollte niemals von sich behaupten, man versteht ein Stück komplett. Das ist wie beim Brunnengraben: je tiefer man gräbt, auf desto mehr Wasser stößt man. So ein Musikstück ist wie ein Lebenspartner. Man entwickelt sich weiter, verändert sich und entwickelt einen anderen Blick.Dann ist es sehr beglückend auf neue Details zu stoßen. Das passiert manchmal beim Üben, aber viel öfter auf der Bühne. Die 150 Prozent Konzentration, die man dort hat, lassen einen noch tiefer ins Werk blicken. Man sollte also eine Partitur aufschlagen und jedes Mal so lesen, als ob man sie noch nie gesehen hätte.

Sie sind auf den Podien dieser Welt unterwegs. Was braucht ein Pianist, um erfolgreich zu sein?

Zuerst sollte man seinen Beruf als Berufung begreifen. Einen Job im Musikleben zu machen, geht meines Erachtens nicht. Sowas ist schnell zu merken. Denn man selbst ist nicht die wichtigste Person, sondern nur ein Medium und hat die Idee des Komponisten zu vertreten. Wenn man Musik aus rein finanziellen Gründen betreibt oder um sich zu profilieren, dann funktioniert das alles nicht. Die Liebe zur Musik ist das Entscheidende. Natürlich ist es auch harte Arbeit und man muss die Bereitschaft mitbringen, ständig dazu zu lernen.

Ist es nicht der einsamste Job der Welt, allein auf der Bühne zu sein, obwohl man von tausend, zweitausend Paar Augen beobachtet wird?

Ja und Nein. Es gibt diese einsamen Momente. Aber ich spiele ja nicht ausschließlich Solorepertoire. Für mich ist Kammermusik genauso wichtig. Dabei lernt man klanglich sehr viel von den anderen Instrumenten, man lernt auch einen Komponisten kompletter kennen. Sowohl musikalisch als auch menschlich muss da die Chemie stimmen, daher ist es so schwer, gute Kammermusikensemble zu gründen. Und mit Orchester zu spielen ist für mich eigentlich die größte Form der Kammermusik, denn ich stehe ständig mit den Soloinstrumenten des Orchesters in Verbindung.

Seit 2008 sind Sie Professor an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Was geben Sie dem musikalischen Nachwuchs mit auf den Weg?

Für mich ist das Forschen nach der Wahrheit sehr wichtig. Es gibt soviele Möglichkeiten etwas auszudrücken. Wichtig ist, dass sie ganz genau durchdacht sind. Meine Aufgabe besteht darin, die Studierenden zu fördern und zu fordern, sich eine eigene Meinung zu bilden, wie man an ein Werk herangeht. Sie sollen keine Kopie von mir werden.

Am 28. Mai sind Sie zu Gast bei der Klavier-Sommernacht. Worauf darf das Publikum sich freuen?

Es ist immer wunderbar dort zu sein, wo der Geist Johannes Brahms‘ zu spüren ist. Und ich kenne Heide schon aus Konzerten während meiner Studienzeit, als ich über ein Stipendium des Deutschen Musikrats dort spielen durfte. Das Programm am 28. Mai ist sehr rhapsodisch geprägt und hat einen Augenmerk auf einigen Fantasien. Darunter die faszinierende und abwechslungsreiche Fantasie op.77 von Beethoven, die einzige, die er schriftlich niedergelegt hat. Relativ wenig gespielt, obwohl es ein unglaublich schönes Stück ist, ist die Fantasie op 28. von Skrjabin. Natürlich darf Johannes Brahms nicht fehlen. Und meinen Auftritt beende ich mit der Rhapsodie in blue.
Interview: Andreas Guballa