Interview mit Lars Vogt

Interview mit Lars Vogt

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Seit seinem Aufsehen erregenden Zweiten Preis beim Internationalen Klavierwettbewerb in Leeds 1990 zählt der heute 34-jährige Lars Vogt zu den führenden Pianisten seiner Generation. Seine Karriere führte ihn in den letzten Jahren durch ganz Europa, in die USA und nach Fernost. Eine besonders enge Zusammenarbeit verbindet ihn mit Sir Simon Rattle, unter dessen Dirigat er erstmals während seines Wettbewerbserfolges in Leeds spielte. Neben der Konzertliteratur widmet sich Lars Vogt mit großer Hingabe der Soloklavier- und der Kammermusik, für die er 1998 sogar ein eigenes Festival mit dem Namen „Spannungen“ gegründet hat. Zur Zeit ist Lars Vogt als erster Künstler „Pianist in Residence“ bei den Berliner Philharmonikern. Mit seiner Frau, der Komponistin Tatjana Komarova, und Tochter Isabelle wohnt er in der Nähe seiner Heimatstadt Düren. Heute Abend wird ihm in Heide der Brahms-Preis verleihen. Die DLZ/BZ sprach mit dem Künstler.

DLZ/BZ: Herr Vogt, Sie haben im Laufe der letzten zwölf Monate mehrere Brahms-Werke eingespielt. Gerade erschienen ist das Klavierquartett Nr. 2. Im letzten Sommer die CDs „Intermezzi“ und „Duo-Sonaten“ u.a. mit den Brahms-Preisträgern Sabine Meyer und Christian Tetzlaff. Man sagt von Ihnen, Ihr Ansatz der Interpretation sei ein ganz privater, von einer ganz privaten Faszination bestimmt. Was macht diese Faszination für Johannes Brahms aus?

Lars Vogt: Seit meiner Jugend ist Brahms zu einem meiner ganz großen Helden avanciert und ich habe mich eigentlich immer in der Musik von Brahms wieder gefunden. Der nördlich gefärbten Harmonik, der durchaus schmerzlich gefärbten Melancholie, aber auch dem ganzen Lebenssinn, der in dieser Musik steckt, bin ich durchaus verbunden. Brahms‘ Musik hat eine ungeheuer starke Emotionalität, die durch eine beinahe schon wieder rationale Struktur zusammen gehalten wird. Diese Emotionalität ist bei Brahms immer so berstend intensiv, das sie dieser Struktur durchaus auch bedarf. Diese Komponenten machen Brahms zu etwas ganz Besonderem.

DLZ/BZ:
Was bedeutet es in diesem Zusammenhang für Sie, dass Ihnen heute Abend der Brahms-Preis verliehen wird?

LV: Das freut mich natürlich ganz besonders, weil mir Brahms schon immer am Herzen lag und ich mich in den letzten Jahren besonders intensiv auf Brahms konzentriert habe. Dass mir die Brahms-Gesellschaft diesen Preis mit seiner langjährigen Tradition verleiht, ist mir eine große Ehre und große Freude.

DLZ/BZ: Die Saison, in der Sie „Pianist in Residence“ bei den Berliner Philharmonikern sind, geht allmählich zu Ende. Was bleibt von diesem Jahr?

LV: Der Eindruck, dass die Berliner Philharmoniker das wohl weltbeste Orchester sind mit einer unglaublichen internen Atmosphäre. Es ist ein ganz junges Orchester geworden mit viel Kreativität, Lust und Laune am Musizieren, mit einem hohen kammermusikalischen Geist sowohl im Orchesterspiel als auch in Einzel-Projekten. Ich habe viel kammermusikalische Arbeit mit einzelnen Mitgliedern gemacht, also das Orchester von innen heraus kennen gelernt, und dabei eine ganze Reihe neuer Freunde gewonnen. Mir wurde durch diese Arbeit noch mal verdeutlicht, dass sich Weltklasse-Musiker zu einem Spitzen-Orchester zusammengefunden haben – sich dann aber im Orchesterspiel wie auch in der Kammermusik ganz in den Dienst der Sache stellen. Es ist schon etwas Einmaliges, wenn man das mal erleben durfte.

DLZ/BZ: Nun spielen Sie nicht nur mit großen Orchestern zusammen, sondern machen auch Soloabende und Kammermusikabende. Was ist die größere Herausforderung, was ist der größere Spaß?

LV: Für mich sind alle drei Bereiche essentiell wichtig und machen mir ungeheuer viel Spaß. Es ist manchmal ganz gut, wenn man mal eine Interpretation ganz mit sich alleine ausmacht. Aber sowohl in der Kammermusik als auch im Orchesterkonzert, wenn es zu einem partnerschaftlichen Miteinander zwischen Dirigenten und Mitstreitern kommt, kann man einfach soviel lernen, soviel aufnehmen und soviel neue Impulse bekommen, dass jeder dieser Bereiche den anderen befruchtet.

DLZ/BZ: Sie spielen heute Abend an einem eher ungewohnten Konzertort, einem Autohaus. Außergewöhnliche Umgebungen sind für Sie ja nichts Neues. Ihr Festival „Spannungen“ findet in einem stillgelegten Wasserkraftwerk statt.

LV: Ich finde Kontraste sehr interessant. Ich finde Kontraste in Programmen sehr interessant und ich finde es interessant, wenn man die „gute alte klassische Musik“ neben modernen Autos spielt. Wenn allein durch das Äußere ein Gefühl entsteht, hier ist etwas Kraftvolles, etwas Lebendiges am Werk.
Und ich liebe Räume, die Offenheit schaffen, sowohl im Klanglichen, in der Atmosphäre, für uns im Spielen als auch bei der Rezeption. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass solche Räume Poren öffnen für Kammermusik und dass ganz besondere Dinge passieren.

DLZ/BZ: Was erwartet uns heute Abend musikalisch?

LV: Ich selbst werde zwei Klavierzyklen von Brahms spielen, die Klavierstücke op. 117 und op. 119. Beide gehören zu seinen letzten Klavierwerken, sehr verhangene, melancholische Stücke. Vielleicht sind gerade diese späten Klavierstücke das Beste, was Brahms geschrieben hat. In seinem Spätwerk konzentriert sich alles auf engstem Raum und wird emotionell und strukturell derart intensiv, dass es immer wieder fasziniert und bewegend ist. Außerdem sind noch zwei Kolleginnen dabei. Auf Mihaela Ursuleasa freue ich mich sehr. Sie kenne ich bereits gut von meinem Festival „Spannungen“. Die junge russische Pianistin Anna Vinnitskaja kenne ich noch nicht. Von ihr habe ich aber bereits wunderbare Sachen gehört und bin daher sehr gespannt.

DLZ/BZ: Herr Vogt, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Andreas Guballa